AdobeStock, Азиза Сейфутдинова | Bearbeitung: MvonS

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10 Gründe für mehr Medienkompetenz
Medieninhalte zu konsumieren ist leicht. Sie aber zu verstehen und mit ihnen umzugehen kann kompliziert sein. Wir befinden uns mitten im Umbruch. KI-Chatbots erleichtern den Arbeitsalltag, und über Social Media kommen wir mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt, die wir sonst niemals kennengelernt hätten. Gleichzeitig hinterlassen wir Daten im Netz, die von Tech-Unternehmen gesammelt werden, und fallen vielleicht auf KI-generierte Bilder herein. Und das sind nur einige der Gründe, warum wir mehr Medienkompetenz brauchen.
Jeden Tag stehen wir vor vielen Entscheidungen: Halten wir die Information, die wir lesen oder die uns über Video beziehungsweise Audio erreicht, für richtig oder falsch? Wie sehr können wir der Zeitung vertrauen, die die Information recherchiert hat? Macht es Sinn, KI-Tools zu nutzen, obwohl wir gar nicht genau wissen, wie sie zu den Ergebnissen kommen, die sie uns vorschlagen? Der digitale, vernetzte Alltag wird zu einer ständigen Herausforderung. Die neue Schlüsselkompetenz lautet Medienkompetenz – ein abstrakter Begriff, der mehrere Fertigkeiten vereint. Nur die wenigsten von uns haben durch Fortbildungen und beflissene Familienmitglieder darin kaum noch Nachhilfebedarf. Hier sind zehn Gründe, warum wir uns diese Fähigkeiten genau jetzt aneignen sollten.
1. Der Wunsch nach Förderung von Medienkompetenz ist schon da
Seien wir mal ehrlich: Onlinesein, Medienkonsum und der Griff zum Ladegerät sind fast schon Normalzustand. Dabei kommt aber eine Fähigkeit oftmals zu kurz: die Apps auf dem Smartphone verstehen, die da zu jeder beliebigen Zeit laufen, Beiträge auf Social Media auf Richtigkeit beurteilen und den eigenen Medienkonsum hinterfragen. In einer aktuellen Bitkom-Studie bewerten die Befragten ihre eigene Digitalkompetenz auf einer Schulnotenskala im Durchschnitt lediglich als befriedigend. Etwas mehr als die Hälfte wünscht sich mehr Teilhabe durch digitale Geräte und Anwendungen; für fast 40 Prozent der Befragten ist die Nutzung zu kompliziert. Statistiken wie diese führen uns vor Augen, dass der Gebrauch von Smartphones nicht unbedingt das Gleiche ist wie die Kompetenz, sie richtig zu gebrauchen.
2. Gehypte Tools erfordern einen sicheren Umgang
Viele wollen erst mal genießen, was neu auf dem Markt ist. Auf große Resonanz ist in diesem Jahr der KI-Textgenerator ChatGPT gestoßen. Zeitweise war ChatGPT einer Studie der UBS Investment Bank zufolge die am schnellsten gewachsene Verbraucheranwendung der vergangenen 20 Jahre. Das liegt vor allem daran, dass ChatGPT im Netz jederzeit einfach verfügbar ist und darüber hinaus überraschende, schnell produzierte Ergebnisse liefert. Der Rekord wurde kürzlich sogar noch geknackt von der Twitter-Alternative Threads, die nur vier Tage benötigte, um auf 100 Millionen Nutzer*innen zu kommen, wie Heise berichtet. Allerdings sind die Konsequenzen für den Alltag bei Neuheiten in der Regel schwer greifbar. So generiert ChatGPT beispielsweise Antworten, die zwar plausibel klingen, aber nicht immer faktisch korrekt sind. Wer die generierten Texte also ohne genaue Prüfung übernimmt, läuft Gefahr, ungewollt Misinformation zu verbreiten. Ebenso steht die Frage der Urheberschaft im Raum. Wer KI-Tools bei der kreativen Arbeit einsetzt – um etwa Aufsätze zu schreiben oder Bilder zu erstellen – täuscht unter Umständen andere. Wenn man KI verantwortungsbewusst nutzen will, ist der Hinweis „KI-generiert“ unverzichtbar.
3. Globale Vernetzung pusht den Meinungsaustausch
Nie war es so leicht wie heute, die eigene Meinung kundzutun und dabei vermeintlich anonym zu bleiben. Einen wichtigen Stellenwert nehmen soziale Netzwerke wie Facebook, TikTok und Co ein. Laut einer Trendstudie von Hootsuite und We Are Social loggen sich mehr als 93 Prozent der regelmäßigen Internet-Nutzer*innen dort ein. Bedingt durch algorithmenbasierte Entscheidungssysteme, durch die wir das angezeigt bekommen, was wir sehen wollen, kann dann aber Folgendes passieren: Wir haben den Eindruck, dass bestimmte Meinungen und Standpunkte in der Gesellschaft überwiegen, die der eigenen Ansicht widersprechen oder ihr zustimmt. Dieser sogenannte Filterblasen-Effekt verlockt manche Menschen gefühlten Wahrheiten zu glauben anstatt faktenbasierten Argumenten. Wenn man nicht darauf achtet, auch online konstruktiv miteinander zu diskutieren, kann das zu Streit und Beleidigungen führen.
4. Vertrauenskrise in repräsentative Institutionen
Wenn Menschen das US-Capitol in Washington D.C. sowie zum Reichstag in Berlin stürmen und Politiker*innen mit populistischen Aussagen ins Amt gewählt werden, dann liegt Vieles im Argen – vor allem aber das Vertrauen in repräsentative Institutionen. Diese Entwicklung in demokratischen Staaten ist keinesfalls neu und die Gründe lassen sich vielleicht noch nicht einmal an einer Hand abzählen. Sicher ist: Staats- und Verwaltungsstrukturen passen sich nur langsam der rasanten Entwicklung digitaler Technologien und Märkte an. Mit einfachen Lösungen lassen sich die komplexen Probleme, Frust und Misstrauen aber selten bis gar nicht beheben. Wer sich auf Debatten einlässt, kann daher lernen, mit der Komplexität der Welt umzugehen. In den Austausch zu gehen ist auch demokratiefördernd, weil man zwangsläufig mit anderen Meinungen und Interessen konfrontiert wird.
5. Noch nie hat sich Desinformation so schnell verbreitet wie heute
Über Social Media erreicht uns eine breite Palette an Informationen – von Privatnachrichten aus der Familie über journalistische Katastrophennachrichten bis zu Bewertungen und Kommentaren über Geschehnisse und Prominente. Leider gibt es dort keinen zuverlässigen Filter, der schädliche und irreführende Informationen von Vornherein aussortiert. Netzwerkbetreiber*innen können oft erst im Nachhinein eingreifen. Insbesondere während Wahlperioden starten Fake-News-Produzent*innen ausgeklügelte Kampagnen, mit denen die Meinung der Öffentlichkeit beeinflusst und die Stabilität der Demokratie gefährdet wird. Daher ist es wichtig, sich selbst widerstandsfähiger gegen Desinformation zu machen. Es geht etwa darum, Manipulationsversuche zu erkennen, um nicht selbst unabsichtlich Fake News zu kreieren oder weiterzuverbreiten.
6. Wir filtern Informationen heute selbst – nicht nur Journalist*innen
Ja, Social-Media-Plattformen verbreiten auch weiterhin journalistische Inhalte, die gängigen Qualitätskriterien entsprechen, etwa Quellenprüfung, und aus der Fülle an Nachrichten die relevantesten auswählen. Aber Tagesschau-Videos, Katapult-Grafiken und Co sind nur ein Produkt neben vielen weiteren Beiträgen von Freunden, Influencer*innen sowie Sportvereinen. Was Meinung und was ist Fakt, lässt sich nicht immer eindeutig zuweisen. Das führt dazu, dass Nutzer*innen selbst in die Rolle eines sogenannten Gatekeepers schlüpfen. Die neue Aufgabe lautet: Selbst darüber zu entscheiden, welche Medieninhalte man anderen Nutzer*innen empfiehlt und ob diese überhaupt gut sind. Daher ist es sinnvoll, selbst ein Verständnis davon aufzubauen, wie man Quellen prüft und was seriöse von fragwürdigen Quellen unterscheidet.
7. Aufmerksamkeitsökonomie schafft Überforderung
Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal nach marktwirtschaftlichen Logiken ausgerichtet. Da prinzipiell jeder im Internet Dinge veröffentlichen kann, ist ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit entstanden. Dabei werden insbesondere menschliche Bedürfnisse nach Emotionalität und Personalisierung oftmals medial ausgenutzt. Dieser Trend regt nicht immer Interesse an, mehr zu konsumieren. Es kann sich auch das Gegenteil einstellen. Verstärkte Emotionalisierung führt dann doch wieder zur Abstumpfung. Laut aktuellem Reuters Institute Digital News Report nimmt die Nachrichtenmüdigkeit in Deutschland weiter zu und liegt bei einem aktuellen Wert von 52 Prozent. Um die Überforderung durch Nachrichten zu vermeiden, gilt es daher, den eigenen Medienumgang zu verändern.
8. Algorithmen beeinflussen, was wir sehen
Wer heute Faszinationen und Wow-Momente sucht, braucht nicht mehr in eine Zaubershow zu gehen. Das sogenannte Blackbox-Prinzip der Plattformen sorgt ebenso für Staunen. Denn noch nicht einmal die Programmier*innen selbst wissen immer, wie die algorithmischen Systeme im Detail funktionieren, die dafür sorgen, dass uns ausgerechnet dieses Katzenvideo oder jene passgenaue Sportwerbung empfohlen wird. Sicher ist: Diese Entscheidungssysteme treffen eine inhaltliche Vorauswahl aus Daten, die wir den Plattformen während deren Nutzung zur Verfügung stellen. Zur Medienkompetenz gehört es daher auch, ein Grundverständnis zu bekommen, wie Entscheidungen getroffen werden und wer überhaupt darüber entscheidet, welcher (mediale) Inhalt welchem Nutzer*in ausgespielt wird.
9. Informationsleistung von Journalist*innen hat sich gewandelt
An einem bestimmten Punkt in ihrer Karriere befinden sich viele Künstler*innen in der Schaffenskrise. Ähnliche Erfahrungen macht gerade die Medienbranche. Durch die digitale Transformation hat sich die Rolle des Journalismus stark gewandelt. Die Vielzahl an neuen reichweitenstarken Akteur*innen im Netz und Geschäftsmodellen lässt die Frage aufkommen: Welche Informationsleistung muss der Journalismus heute noch bringen? Prinzipiell erfahren etablierte Medien in Deutschland ein hohes Vertrauen, wie die Befunde der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen nahe legen. Fake News und Medienskandale wie um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger oder Ex-Spiegel-Reporter Claas Relotius schüren aber Medienmisstrauen. Im Wettbewerb mit anderen stehen etablierte Medien umso mehr in der Verantwortung, die Qualität ihrer Inhalte überprüfbar zu machen. Ersichtlich machen, wie Medien arbeiten und wie sie ihren Nutzer*innen faktenbasiertes Wissen präsentieren, trägt zur Vertrauensverfestigung bei. Zugleich stehen Nutzer*innen selbst in der Verantwortung, wenn sie ein ausgewogenes Bild zu einem Thema haben und informierte Entscheidungen treffen möchten – etwa indem sie ihre Recherchefähigkeiten trainieren, um vertrauenswürdige Medien zu erkennen.
10. Aktivismus funktioniert heute zunehmend online
Für Bürger*innen sind die Hürden niedriger geworden, sich gesellschaftlich zu engagieren und die Demokratie zu stärken. Wer heute etwa Klimapolitik ändern möchte, kann das ganz simpel ausgedrückt bereits mit einem Klick von der Couch aus machen. Online-Petitionen sind zu einer beliebten Form des Aktivismus geworden. Der Wunsch nach mehr Engagement spiegelt sich beispielsweise in der Appinio-Umfrage im Auftrag der Plattform Patagonia Action Works aus dem Jahr 2021 wider. Mehr als 60 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, in Zukunft selbst zu digitalen Aktivist*innen zu werden. Online aktiv zu sein, Hashtag-Kampagnen zu starten und sich in Kommentarspalten einzubringen bedeutet aber auch, Verantwortung bei der Verbreitung von Informationen zu übernehmen (und keine Misinformation zu verbreiten). Erst wer selbst gut informiert ist, kann auch andere besser darin unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen.
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.

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10 Gründe für mehr Medienkompetenz
Medieninhalte zu konsumieren ist leicht. Sie aber zu verstehen und mit ihnen umzugehen kann kompliziert sein. Wir befinden uns mitten im Umbruch. KI-Chatbots erleichtern den Arbeitsalltag, und über Social Media kommen wir mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt, die wir sonst niemals kennengelernt hätten. Gleichzeitig hinterlassen wir Daten im Netz, die von Tech-Unternehmen gesammelt werden, und fallen vielleicht auf KI-generierte Bilder herein. Und das sind nur einige der Gründe, warum wir mehr Medienkompetenz brauchen.
Jeden Tag stehen wir vor vielen Entscheidungen: Halten wir die Information, die wir lesen oder die uns über Video beziehungsweise Audio erreicht, für richtig oder falsch? Wie sehr können wir der Zeitung vertrauen, die die Information recherchiert hat? Macht es Sinn, KI-Tools zu nutzen, obwohl wir gar nicht genau wissen, wie sie zu den Ergebnissen kommen, die sie uns vorschlagen? Der digitale, vernetzte Alltag wird zu einer ständigen Herausforderung. Die neue Schlüsselkompetenz lautet Medienkompetenz – ein abstrakter Begriff, der mehrere Fertigkeiten vereint. Nur die wenigsten von uns haben durch Fortbildungen und beflissene Familienmitglieder darin kaum noch Nachhilfebedarf. Hier sind zehn Gründe, warum wir uns diese Fähigkeiten genau jetzt aneignen sollten.
1. Der Wunsch nach Förderung von Medienkompetenz ist schon da
Seien wir mal ehrlich: Onlinesein, Medienkonsum und der Griff zum Ladegerät sind fast schon Normalzustand. Dabei kommt aber eine Fähigkeit oftmals zu kurz: die Apps auf dem Smartphone verstehen, die da zu jeder beliebigen Zeit laufen, Beiträge auf Social Media auf Richtigkeit beurteilen und den eigenen Medienkonsum hinterfragen. In einer aktuellen Bitkom-Studie bewerten die Befragten ihre eigene Digitalkompetenz auf einer Schulnotenskala im Durchschnitt lediglich als befriedigend. Etwas mehr als die Hälfte wünscht sich mehr Teilhabe durch digitale Geräte und Anwendungen; für fast 40 Prozent der Befragten ist die Nutzung zu kompliziert. Statistiken wie diese führen uns vor Augen, dass der Gebrauch von Smartphones nicht unbedingt das Gleiche ist wie die Kompetenz, sie richtig zu gebrauchen.
2. Gehypte Tools erfordern einen sicheren Umgang
Viele wollen erst mal genießen, was neu auf dem Markt ist. Auf große Resonanz ist in diesem Jahr der KI-Textgenerator ChatGPT gestoßen. Zeitweise war ChatGPT einer Studie der UBS Investment Bank zufolge die am schnellsten gewachsene Verbraucheranwendung der vergangenen 20 Jahre. Das liegt vor allem daran, dass ChatGPT im Netz jederzeit einfach verfügbar ist und darüber hinaus überraschende, schnell produzierte Ergebnisse liefert. Der Rekord wurde kürzlich sogar noch geknackt von der Twitter-Alternative Threads, die nur vier Tage benötigte, um auf 100 Millionen Nutzer*innen zu kommen, wie Heise berichtet. Allerdings sind die Konsequenzen für den Alltag bei Neuheiten in der Regel schwer greifbar. So generiert ChatGPT beispielsweise Antworten, die zwar plausibel klingen, aber nicht immer faktisch korrekt sind. Wer die generierten Texte also ohne genaue Prüfung übernimmt, läuft Gefahr, ungewollt Misinformation zu verbreiten. Ebenso steht die Frage der Urheberschaft im Raum. Wer KI-Tools bei der kreativen Arbeit einsetzt – um etwa Aufsätze zu schreiben oder Bilder zu erstellen – täuscht unter Umständen andere. Wenn man KI verantwortungsbewusst nutzen will, ist der Hinweis „KI-generiert“ unverzichtbar.
3. Globale Vernetzung pusht den Meinungsaustausch
Nie war es so leicht wie heute, die eigene Meinung kundzutun und dabei vermeintlich anonym zu bleiben. Einen wichtigen Stellenwert nehmen soziale Netzwerke wie Facebook, TikTok und Co ein. Laut einer Trendstudie von Hootsuite und We Are Social loggen sich mehr als 93 Prozent der regelmäßigen Internet-Nutzer*innen dort ein. Bedingt durch algorithmenbasierte Entscheidungssysteme, durch die wir das angezeigt bekommen, was wir sehen wollen, kann dann aber Folgendes passieren: Wir haben den Eindruck, dass bestimmte Meinungen und Standpunkte in der Gesellschaft überwiegen, die der eigenen Ansicht widersprechen oder ihr zustimmt. Dieser sogenannte Filterblasen-Effekt verlockt manche Menschen gefühlten Wahrheiten zu glauben anstatt faktenbasierten Argumenten. Wenn man nicht darauf achtet, auch online konstruktiv miteinander zu diskutieren, kann das zu Streit und Beleidigungen führen.
4. Vertrauenskrise in repräsentative Institutionen
Wenn Menschen das US-Capitol in Washington D.C. sowie zum Reichstag in Berlin stürmen und Politiker*innen mit populistischen Aussagen ins Amt gewählt werden, dann liegt Vieles im Argen – vor allem aber das Vertrauen in repräsentative Institutionen. Diese Entwicklung in demokratischen Staaten ist keinesfalls neu und die Gründe lassen sich vielleicht noch nicht einmal an einer Hand abzählen. Sicher ist: Staats- und Verwaltungsstrukturen passen sich nur langsam der rasanten Entwicklung digitaler Technologien und Märkte an. Mit einfachen Lösungen lassen sich die komplexen Probleme, Frust und Misstrauen aber selten bis gar nicht beheben. Wer sich auf Debatten einlässt, kann daher lernen, mit der Komplexität der Welt umzugehen. In den Austausch zu gehen ist auch demokratiefördernd, weil man zwangsläufig mit anderen Meinungen und Interessen konfrontiert wird.
5. Noch nie hat sich Desinformation so schnell verbreitet wie heute
Über Social Media erreicht uns eine breite Palette an Informationen – von Privatnachrichten aus der Familie über journalistische Katastrophennachrichten bis zu Bewertungen und Kommentaren über Geschehnisse und Prominente. Leider gibt es dort keinen zuverlässigen Filter, der schädliche und irreführende Informationen von Vornherein aussortiert. Netzwerkbetreiber*innen können oft erst im Nachhinein eingreifen. Insbesondere während Wahlperioden starten Fake-News-Produzent*innen ausgeklügelte Kampagnen, mit denen die Meinung der Öffentlichkeit beeinflusst und die Stabilität der Demokratie gefährdet wird. Daher ist es wichtig, sich selbst widerstandsfähiger gegen Desinformation zu machen. Es geht etwa darum, Manipulationsversuche zu erkennen, um nicht selbst unabsichtlich Fake News zu kreieren oder weiterzuverbreiten.
6. Wir filtern Informationen heute selbst – nicht nur Journalist*innen
Ja, Social-Media-Plattformen verbreiten auch weiterhin journalistische Inhalte, die gängigen Qualitätskriterien entsprechen, etwa Quellenprüfung, und aus der Fülle an Nachrichten die relevantesten auswählen. Aber Tagesschau-Videos, Katapult-Grafiken und Co sind nur ein Produkt neben vielen weiteren Beiträgen von Freunden, Influencer*innen sowie Sportvereinen. Was Meinung und was ist Fakt, lässt sich nicht immer eindeutig zuweisen. Das führt dazu, dass Nutzer*innen selbst in die Rolle eines sogenannten Gatekeepers schlüpfen. Die neue Aufgabe lautet: Selbst darüber zu entscheiden, welche Medieninhalte man anderen Nutzer*innen empfiehlt und ob diese überhaupt gut sind. Daher ist es sinnvoll, selbst ein Verständnis davon aufzubauen, wie man Quellen prüft und was seriöse von fragwürdigen Quellen unterscheidet.
7. Aufmerksamkeitsökonomie schafft Überforderung
Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal nach marktwirtschaftlichen Logiken ausgerichtet. Da prinzipiell jeder im Internet Dinge veröffentlichen kann, ist ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit entstanden. Dabei werden insbesondere menschliche Bedürfnisse nach Emotionalität und Personalisierung oftmals medial ausgenutzt. Dieser Trend regt nicht immer Interesse an, mehr zu konsumieren. Es kann sich auch das Gegenteil einstellen. Verstärkte Emotionalisierung führt dann doch wieder zur Abstumpfung. Laut aktuellem Reuters Institute Digital News Report nimmt die Nachrichtenmüdigkeit in Deutschland weiter zu und liegt bei einem aktuellen Wert von 52 Prozent. Um die Überforderung durch Nachrichten zu vermeiden, gilt es daher, den eigenen Medienumgang zu verändern.
8. Algorithmen beeinflussen, was wir sehen
Wer heute Faszinationen und Wow-Momente sucht, braucht nicht mehr in eine Zaubershow zu gehen. Das sogenannte Blackbox-Prinzip der Plattformen sorgt ebenso für Staunen. Denn noch nicht einmal die Programmier*innen selbst wissen immer, wie die algorithmischen Systeme im Detail funktionieren, die dafür sorgen, dass uns ausgerechnet dieses Katzenvideo oder jene passgenaue Sportwerbung empfohlen wird. Sicher ist: Diese Entscheidungssysteme treffen eine inhaltliche Vorauswahl aus Daten, die wir den Plattformen während deren Nutzung zur Verfügung stellen. Zur Medienkompetenz gehört es daher auch, ein Grundverständnis zu bekommen, wie Entscheidungen getroffen werden und wer überhaupt darüber entscheidet, welcher (mediale) Inhalt welchem Nutzer*in ausgespielt wird.
9. Informationsleistung von Journalist*innen hat sich gewandelt
An einem bestimmten Punkt in ihrer Karriere befinden sich viele Künstler*innen in der Schaffenskrise. Ähnliche Erfahrungen macht gerade die Medienbranche. Durch die digitale Transformation hat sich die Rolle des Journalismus stark gewandelt. Die Vielzahl an neuen reichweitenstarken Akteur*innen im Netz und Geschäftsmodellen lässt die Frage aufkommen: Welche Informationsleistung muss der Journalismus heute noch bringen? Prinzipiell erfahren etablierte Medien in Deutschland ein hohes Vertrauen, wie die Befunde der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen nahe legen. Fake News und Medienskandale wie um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger oder Ex-Spiegel-Reporter Claas Relotius schüren aber Medienmisstrauen. Im Wettbewerb mit anderen stehen etablierte Medien umso mehr in der Verantwortung, die Qualität ihrer Inhalte überprüfbar zu machen. Ersichtlich machen, wie Medien arbeiten und wie sie ihren Nutzer*innen faktenbasiertes Wissen präsentieren, trägt zur Vertrauensverfestigung bei. Zugleich stehen Nutzer*innen selbst in der Verantwortung, wenn sie ein ausgewogenes Bild zu einem Thema haben und informierte Entscheidungen treffen möchten – etwa indem sie ihre Recherchefähigkeiten trainieren, um vertrauenswürdige Medien zu erkennen.
10. Aktivismus funktioniert heute zunehmend online
Für Bürger*innen sind die Hürden niedriger geworden, sich gesellschaftlich zu engagieren und die Demokratie zu stärken. Wer heute etwa Klimapolitik ändern möchte, kann das ganz simpel ausgedrückt bereits mit einem Klick von der Couch aus machen. Online-Petitionen sind zu einer beliebten Form des Aktivismus geworden. Der Wunsch nach mehr Engagement spiegelt sich beispielsweise in der Appinio-Umfrage im Auftrag der Plattform Patagonia Action Works aus dem Jahr 2021 wider. Mehr als 60 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, in Zukunft selbst zu digitalen Aktivist*innen zu werden. Online aktiv zu sein, Hashtag-Kampagnen zu starten und sich in Kommentarspalten einzubringen bedeutet aber auch, Verantwortung bei der Verbreitung von Informationen zu übernehmen (und keine Misinformation zu verbreiten). Erst wer selbst gut informiert ist, kann auch andere besser darin unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen.
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.