Meme-Kultur – alles nur Spaß?
Memes sind längst nicht nur harmlose Internetscherze. Sie werden für politische und spaltende Zwecke instrumentalisiert. Eine neue Untersuchung aus der rechtsextremen Szene zeigt, das Aktivist*innen gezielt in nicht-politische Chatgruppen und Kommentarspalten gehen, um dort Nutzer*innen zu verwirren und Wertvorstellungen zu verschieben. Dass wir gefährliche Memes besser erkennen, bedarf vor allem eines: Meme-Kompetenz.
Mit dem Satz „Bin gespannt auf die Memes“ und einem Foto mit Augenklappe hat Bundeskanzler Olaf Scholz im Spätsommer dieses Jahres den Anstoß für einen viralen Hit gegeben. Grundlage für den Aufruf bildete ein Sportunfall, den der Bundeskanzler über seinen X-Kanal publik machte. Nach dem Tweet fluteten innerhalb kürzester Zeit jede Menge Sprüche wie „Fluch der Politik“ oder „Olaf auf Scholz-Suche“ das Internet, aber auch Bildmontagen, in denen der Bundeskanzler als Pirat dargestellt wurde. Einige Medienhäuser kuratierten daraufhin die einfallsreichsten Scholz-Memes. Netzkultur ohne Memes? Das ist heute nicht mehr vorstellbar.
Memes sind wohl das Format der Wahl, wenn es darum geht, Gefühle auszudrücken und aktuelle gesellschaftliche Ereignisse auf humorvolle oder kritische Weise zu kommentieren. Sie bringen auf den Punkt, was man sonst in einem sachlichen Textbeitrag mit vielen Beispielen und Beschreibungen veranschaulichen müsste. Das wirkt ehrlich und authentisch. Aber manchmal liefern Memes nicht nur Unterhaltung und Schenkelklopfer. Sie können auch zu Vorurteilen und Diskriminierung beitragen, manchmal sogar unter dem Deckmantel des Humors.
So kursierten in diesem Sommer beispielsweise Memes von der Maus aus Die Sendung mit der Maus in einem schwarz-rot-goldenem Farbverlauf auf Social Media – ähnlich wie in der symbolbehafteten Regenbogenflagge. Ist das noch lustig oder schon doppelbödiger Humor? Tatsächlich handelte es sich dabei um eine Hetzkampagne der rechtsextremen Szene, wie Der Volksverpetzer in einem Aufklärungsbeitrag darlegt. Der Fall zeigt: Während Memes auf den ersten Blick harmlos erscheinen mögen, birgt ihr zunehmendes Aufkommen in politischen Debatten und Wahlkämpfen ein gewisses Gefahrenpotenzial, das wir näher betrachten sollten.
Was sind Internet-Memes?
Memes beschreiben in der Regel kreative Ausdrucksformen wie Bilder, Videos, Sprüche, Sounds. Sie sind aber auch ein anderes Wort für Referenzen sowie Imitationen im Allgemeinen und kontextbezogene Witze, sogenannte running gags. Als Urvater des Begriffs gilt der britische Biologe Richard Dawkins in den 1970er Jahren. Im Grunde betrachtete er Memes als Gene, die kulturelle Informationen tragen. Ganz klassisch treten Memes heute in der Kombination von einem Foto mit einer Aussage in weißer Blockschrift auf. So haben etwa „Grumpy Cat“, „Disaster Girl“ und „Distracted Boyfriend“ längst einen festen Platz in der Popkultur. Mittlerweile sind auch Selfie-Memes sehr verbreitet, bei denen man also selbst im Fokus steht und beispielsweise bekannte Lieder lippensynchron nachsingt („Lipsync“) oder an seltsamen Orten in die Hocke geht, um so eine Eule zu imitieren („Owling“).
Das Besondere an Memes ist, dass sie von Menschen mitgestaltet und verändert werden. Jeder ist Teil des Schöpfungsprozesses und kann aus seinem eigenen Ideenfundus von Filmen, Musik und Bildern greifen. Meistens entstehen Memes in einer kleinen Gruppe beziehungsweise einer Nische – ähnlich wie Insider-Jokes an Stammtischen. Sie können sich schnell verbreiten, gerade über Social Media, Messenger-Dienste und Foren, was ihnen oft auch das Potenzial verleiht, in kürzester Zeit viral zu gehen. Online-Anwendungen wie imgflip.com, Quickmeme oder Memasik ermöglichen das Erstellen von Memes.
Mehrdeutigkeit schafft Verwirrung
Problematisch werden Memes, wenn sie instrumentalisiert werden und Leser*innen sich dessen nicht bewusst sind. Das geschieht häufig über spaltenden Humor, der Menschen abwertet und sie verunglimpft. Auf Nutzer*innen in Kommentarspalten, die solche Aktionen nicht erwarten, weil sie Memes mit bunter Popkultur oder harmlosen Spielereien verbinden, kann das zunächst befremdlich wirken. Weil Memes auch prinzipiell mehrdeutig sind, kann das auch an der Selbstwahrnehmung rütteln. Suggeriert der Absender gute Absichten, obwohl diese es tatsächlich nicht sind? Spaß an Memes haben in diesem Moment nur diejenigen, die die dahinter liegenden Botschaften verstehen und erkennen, dass sie mit diesem Wissen auch andere ausschließen.
Der Kommunikationswissenschaftler Marc Ziegele von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sieht in vielen Memes eine Art Geheimsprache: „Auf Außenstehende wirken insbesondere Memes, die auf die Abwertung bestimmter Personen oder Gruppen zielen, oft relativ komplex. Aber für die Leute, die die Muster hinter den Memes kennen und dieselben Werte und Überzeugungen teilen, stärken solche Memes das Gemeinschaftsgefühl und ermutigen erst recht zum Liken oder Teilen.“
Für den Einzelnen bedeutet das, immer einzukalkulieren, was dahinter stecken könnte und wer davon profitiert – gerade wenn Memes authentisch erscheinen, weil sie offensichtlich viel geteilt oder geliked werden. Memes können nämlich auch Abwertung normalisieren, wie Ziegele sagt: „Wir sprechen von sogenannten Normalisierungseffekten, wenn sich beispielsweise extremistische Inhalte nicht sofort erschließen lassen, sie aber immer wieder in Debatten auftauchen. Infiltration rechtsextremer Inhalte hat sich beispielsweise bereits an Begriffen wie Goldstücke oder Migrationsschwemme gezeigt.“
Rechtsextreme Meme-Kultur verstehen
Woran kannst du problematische Memes erkennen? Seit zwei Jahren versuchen Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen mit speziellem Blick auf die rechtsextreme Szene Antworten zu finden. Ihre Ergebnisse laufen in dem Verbundsprojekt Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation zusammen. Neueste Erkenntnisse fasst eine Broschüre zusammen, herausgegeben von der Amadeu Antonio Stiftung. „Ideologie lässt sich subtil und schleichend vermitteln. Daher sind hinsichtlich der Narrative der extremen Rechten Vorkenntnisse vonnöten, um kontextualisieren zu können, was einem an Symbolen und Begriffen entgegenkommt“, sagt der Politikwissenschaftler und Projekt-Mitarbeiter Vincent Knopp von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Wiesbaden.
Für die Recherche waren die Wissenschaftler*innen unter anderem verdeckt in rechtsextremen Foren unterwegs und sie sprachen mit männlichen Aussteigern. „Extrem rechte Aktivist*innen möchten triggern und leben somit auch von der Empörung des nicht-rechten Teils der Bevölkerung. Sie freuen sich über Reaktionen, Klicks und Shares sowie darauf, politische Gegner*innen ins eigene Spiel miteinzubeziehen“, so Knopp.
Die Analysen zeigen, dass rechte Aktivist*innen ihre Memes gezielt in Chatgruppen und Kommentarspalten verbreiten, wo Politik weniger auf der Tagesordnung steht. „Strategisch wird versucht, mithilfe von Memes bestimmte Ressentiments akzeptabel zu machen und Wertvorstellungen zu verschieben, noch lange bevor es um politische Debatten selber geht. Die rechte Szene spricht hier von Metapolitik“, sagt der Philosoph und Projektkoordinator Kai Denker von der Technischen Universität Darmstadt.
Tipps zum Erkennen rechtsextremer Memes
Um Memes mit rechtsextremen Weltbildern aufzudecken, empfehlen Denker und Knopp auf typische Darstellungsmuster, Stilelemente und Figuren zu achten. Das sind die wichtigsten:
- Symbole wie „Pepe, den Frosch“ (menschenähnliche Froschfigur), die „schwarze Sonne“ (ineinander gedrehte Hakenkreuze),Clownsgesicht Emoji, Avocado Emoj
- Anspielungen auf Zahlencodes wie 18, 88, 14 oder 444
- kunsthistorische Bezüge, die für die NS-Ästhetik stehen, wie den Fackelträger und blonde Frauen mit Kindern
- Personen aus dem aktuellen politischen Umfeld, kombiniert mit abwertenden Sprüchen
- Fashwave-Style, ein Mix aus Elementen der NS-Ästhetik und visuellen Effekten wie Bildstörungen, Neonfarben und Verpixelungen
- Bezüge zu Autoren wie Martin Heidegger, Ernst Jünger, Julius Evola und zu bekannten Romanautoren wie George Orwell und Aldous Huxley
- Spiel mit Hässlichkeit und Formlosigkeit: ungeordnete Bildelemente, derangierte Kleidung, Übergewicht, schlechte Zähne
Dass du problematische Memes besser erkennst, setzt natürlich voraus, dass du mit ihnen auch umzugehen weißt. Mit Emojis in Textnachrichten kann man ja auch ins Fettnäpfchen treten. Und zwar dann, wenn man nicht im Bilde ist, dass Aubergine und Honignapf eine sexuelle Bedeutung haben. Dirk von Gehlen, der Journalist und Autor des Buches Meme – Muster digitaler Kommunikation, schlägt daher vor, sich eine sogenannte Meme-Kompetenz anzueignen. Damit meint er die Fähigkeit:
- memetische Sprache verstehen zu können – ähnlich wie Dialekte, durch die sich Menschen in bestimmten Regionen einander zugehörig fühlen
- metaphorisch zu sprechen, indem du die dahinter liegenden Muster auf neue thematische Situationen überträgst
- Memes selbst zu erstellen und damit online zu kommunizieren
Von Gehlen habe nach eigener Aussage zufolge bei Seminaren an Schulen festgestellt, dass gerade Jugendliche mit Memes arbeiten, ohne diese selbst zu reflektieren. „Wir sollten Memes ernst nehmen und nicht als Albernheit abtun. Sie sind ein wichtiger Bestandteil von Sprache, weil sich Leute damit austauschen und Memes deren Kultur und Identität prägen“, so von Gehlen.
Fünf Schritte für mehr Meme-Kompetenz
Welchen Beitrag kannst du leisten, um das Gefahrenpotenzial von Internet-Memes für Debatten zu minimieren? Hier sind einige Schritte, die du unternehmen kannst:
- Geh auf Sprachreise: Wenn du memetische Sprache verstehen willst, ist es sinnvoll, dich an den Orten aufzuhalten, wo sie gesprochen und viel benutzt werden. Tritt beispielsweise gleichnamigen Gruppen auf Facebook bei oder folge Meme-Hastags auf Instagram. Werfe auch einen Blick in den Fundus an Meme-Vorlagen von Meme-Generatoren, die online verfügbar sind.
- Bei Jugendlichen nachfragen: Schlüpfe selbst bewusst in die Rolle eines Interviewers. Frage junge Menschen, warum sie Memes benutzen. Lass dich beraten, welche Memes zu welcher Situation gut passen und beobachte in Familienchat-Gruppen, wann sie solche Memes posten.
- Nutze Suchmaschinen und Nachschlagewerke: Die allermeisten Inhalte sind – zumindest auf Englisch – im Netz erklärt, etwa auf der Website knowyourmeme.com oder findthatmeme.com. Um mehr Hintergrundinformationen zu einem speziellen Meme zu erhalten, kannst du alternativ auch die Schlagwortsuche in Suchmaschinen nutzen sowie Werkzeuge zur Bilderrückwärtssuche wie Google Images, Tineye oder Bing aufrufen.
- Stelle dein Gegenüber zur Rede: Wenn dir ein Meme verdächtig vorkommt, bietet es sich an, in ein Eins-zu-eins-Gespräch zu gehen – vor allem in geschlossenen Gruppen, in denen du dein Gegenüber bereits persönlich kennst. In offenen Gruppen, wo zumeist Anonymität herrscht und es Usus ist, sich in den Kommentarspalten auszutauschen, gehen die Expertenmeinungen auseinander. Denn wenn sich rechte Aktivist*innen hinter den Absender*innen verbergen sollten, sind diese in vielen Fällen auf Folgediskussionen vorbereitet. Andererseits ist es auch wichtig, öffentliche Gegenrede zu leisten, um weiteren Mitlesenden ein Vorbild zu sein.
- Rechtliche Schritte einleiten: Wenn dir Memes auf Social Media verdächtig vorkommen, nutze am besten die „Melden“-Links neben den Beiträgen. In Kommentarspalten etwa kannst du dich zusätzlich an die Moderator*innen des Kanals wenden. Eine weitere Möglichkeit bilden die örtlichen Polizeidienststellen und die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet, insbesondere bei Verdacht auf Volksverhetzung und Bedrohungen. Vergiss nicht die Beweise mithilfe von Screenshot zu sichern.
Fazit
Den Sprung aus der Online-Welt hinein in Politik, Wahlkämpfe und Co haben Memes mittlerweile geschafft. Gerade der Anspruch, Humor, Teilhabe und Mehrdeutigkeit zu vermitteln, macht den Charme von Memes aus. Sie können entsprechend zu Vorurteilen, Diskriminierung, Hate Speech und Fake News beitragen. Oftmals schwingt bei diesen Strategien die Hoffnung mit, dass Menschen Memes weiterverbreiten ohne Kenntnis des doppelbödigen Humors. Zudem wird darauf spekuliert, dass es sich Leser*innen mit einer rationalen Bewertung schwer tun – weil sie sich etwa von ihren eigenen Emotionen überwältigen lassen oder hohe Klickzahlen und Reaktionen anderer Nutzer*innen als vermeintliche Gütekriterien betrachten.
Speziell rechtsextreme Memes vermitteln ihre spaltenden Botschaften unterschwellig. Auch weil sie sonst Gefahr laufen würden, von Social-Media-Moderator*innen und Plattform-Betreiber*innen gelöscht zu werden. Letztlich geht es darum, Memes verantwortungsvoll zu nutzen. Es gilt, sich Fähigkeiten anzueignen, um Memes zu verstehen und diese selbst erstellen zu können.
Weiterführende Links:
- MDR-Video-Beitrag „Memes als digitale Insiderjokes“ vom 10. Februar 2023
- Correctiv-Recherche „Kein Filter für Rechts – Wie die rechte Szene Instagram benutzt, um junge Menschen zu rekrutieren“ vom 17. November 2020
- Kolumne von Ingrid Brodnig „Menschenfeindliche Gags im Internet: Schlechte Scherze“ vom 26. Oktober 2023
- Blog-Beitrag von Dirk von Gehlen „Meme-Literacy: Fünf Dinge, die ich beim Meme-Seminar gelernt habe“ vom 23. Juli 2023
Bildquellen: Falco Seliger, Vincent Knopp, Natalia Mamaj | Bearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
Ähnlich wie bei KI wurden Memes lange Zeit als Bedrohung aufgefasst, nachdem der britische Biologe Richard Dawkins den Begriff 1972 geprägt hatte. Memes galten als Viren des Geistes. Dieses Sinnbild wird heute noch von Rechtsextremen aufgegriffen, wenn diese Memes als „Bio-Waffen“ bezeichnen.
Meme-Kultur – alles nur Spaß?
Memes sind längst nicht nur harmlose Internetscherze. Sie werden für politische und spaltende Zwecke instrumentalisiert. Eine neue Untersuchung aus der rechtsextremen Szene zeigt, das Aktivist*innen gezielt in nicht-politische Chatgruppen und Kommentarspalten gehen, um dort Nutzer*innen zu verwirren und Wertvorstellungen zu verschieben. Dass wir gefährliche Memes besser erkennen, bedarf vor allem eines: Meme-Kompetenz.
Mit dem Satz „Bin gespannt auf die Memes“ und einem Foto mit Augenklappe hat Bundeskanzler Olaf Scholz im Spätsommer dieses Jahres den Anstoß für einen viralen Hit gegeben. Grundlage für den Aufruf bildete ein Sportunfall, den der Bundeskanzler über seinen X-Kanal publik machte. Nach dem Tweet fluteten innerhalb kürzester Zeit jede Menge Sprüche wie „Fluch der Politik“ oder „Olaf auf Scholz-Suche“ das Internet, aber auch Bildmontagen, in denen der Bundeskanzler als Pirat dargestellt wurde. Einige Medienhäuser kuratierten daraufhin die einfallsreichsten Scholz-Memes. Netzkultur ohne Memes? Das ist heute nicht mehr vorstellbar.
Memes sind wohl das Format der Wahl, wenn es darum geht, Gefühle auszudrücken und aktuelle gesellschaftliche Ereignisse auf humorvolle oder kritische Weise zu kommentieren. Sie bringen auf den Punkt, was man sonst in einem sachlichen Textbeitrag mit vielen Beispielen und Beschreibungen veranschaulichen müsste. Das wirkt ehrlich und authentisch. Aber manchmal liefern Memes nicht nur Unterhaltung und Schenkelklopfer. Sie können auch zu Vorurteilen und Diskriminierung beitragen, manchmal sogar unter dem Deckmantel des Humors.
So kursierten in diesem Sommer beispielsweise Memes von der Maus aus Die Sendung mit der Maus in einem schwarz-rot-goldenem Farbverlauf auf Social Media – ähnlich wie in der symbolbehafteten Regenbogenflagge. Ist das noch lustig oder schon doppelbödiger Humor? Tatsächlich handelte es sich dabei um eine Hetzkampagne der rechtsextremen Szene, wie Der Volksverpetzer in einem Aufklärungsbeitrag darlegt. Der Fall zeigt: Während Memes auf den ersten Blick harmlos erscheinen mögen, birgt ihr zunehmendes Aufkommen in politischen Debatten und Wahlkämpfen ein gewisses Gefahrenpotenzial, das wir näher betrachten sollten.
Was sind Internet-Memes?
Memes beschreiben in der Regel kreative Ausdrucksformen wie Bilder, Videos, Sprüche, Sounds. Sie sind aber auch ein anderes Wort für Referenzen sowie Imitationen im Allgemeinen und kontextbezogene Witze, sogenannte running gags. Als Urvater des Begriffs gilt der britische Biologe Richard Dawkins in den 1970er Jahren. Im Grunde betrachtete er Memes als Gene, die kulturelle Informationen tragen. Ganz klassisch treten Memes heute in der Kombination von einem Foto mit einer Aussage in weißer Blockschrift auf. So haben etwa „Grumpy Cat“, „Disaster Girl“ und „Distracted Boyfriend“ längst einen festen Platz in der Popkultur. Mittlerweile sind auch Selfie-Memes sehr verbreitet, bei denen man also selbst im Fokus steht und beispielsweise bekannte Lieder lippensynchron nachsingt („Lipsync“) oder an seltsamen Orten in die Hocke geht, um so eine Eule zu imitieren („Owling“).
Das Besondere an Memes ist, dass sie von Menschen mitgestaltet und verändert werden. Jeder ist Teil des Schöpfungsprozesses und kann aus seinem eigenen Ideenfundus von Filmen, Musik und Bildern greifen. Meistens entstehen Memes in einer kleinen Gruppe beziehungsweise einer Nische – ähnlich wie Insider-Jokes an Stammtischen. Sie können sich schnell verbreiten, gerade über Social Media, Messenger-Dienste und Foren, was ihnen oft auch das Potenzial verleiht, in kürzester Zeit viral zu gehen. Online-Anwendungen wie imgflip.com, Quickmeme oder Memasik ermöglichen das Erstellen von Memes.
Mehrdeutigkeit schafft Verwirrung
Problematisch werden Memes, wenn sie instrumentalisiert werden und Leser*innen sich dessen nicht bewusst sind. Das geschieht häufig über spaltenden Humor, der Menschen abwertet und sie verunglimpft. Auf Nutzer*innen in Kommentarspalten, die solche Aktionen nicht erwarten, weil sie Memes mit bunter Popkultur oder harmlosen Spielereien verbinden, kann das zunächst befremdlich wirken. Weil Memes auch prinzipiell mehrdeutig sind, kann das auch an der Selbstwahrnehmung rütteln. Suggeriert der Absender gute Absichten, obwohl diese es tatsächlich nicht sind? Spaß an Memes haben in diesem Moment nur diejenigen, die die dahinter liegenden Botschaften verstehen und erkennen, dass sie mit diesem Wissen auch andere ausschließen.
Der Kommunikationswissenschaftler Marc Ziegele von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sieht in vielen Memes eine Art Geheimsprache: „Auf Außenstehende wirken insbesondere Memes, die auf die Abwertung bestimmter Personen oder Gruppen zielen, oft relativ komplex. Aber für die Leute, die die Muster hinter den Memes kennen und dieselben Werte und Überzeugungen teilen, stärken solche Memes das Gemeinschaftsgefühl und ermutigen erst recht zum Liken oder Teilen.“
Für den Einzelnen bedeutet das, immer einzukalkulieren, was dahinter stecken könnte und wer davon profitiert – gerade wenn Memes authentisch erscheinen, weil sie offensichtlich viel geteilt oder geliked werden. Memes können nämlich auch Abwertung normalisieren, wie Ziegele sagt: „Wir sprechen von sogenannten Normalisierungseffekten, wenn sich beispielsweise extremistische Inhalte nicht sofort erschließen lassen, sie aber immer wieder in Debatten auftauchen. Infiltration rechtsextremer Inhalte hat sich beispielsweise bereits an Begriffen wie Goldstücke oder Migrationsschwemme gezeigt.“
Rechtsextreme Meme-Kultur verstehen
Woran kannst du problematische Memes erkennen? Seit zwei Jahren versuchen Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen mit speziellem Blick auf die rechtsextreme Szene Antworten zu finden. Ihre Ergebnisse laufen in dem Verbundsprojekt Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation zusammen. Neueste Erkenntnisse fasst eine Broschüre zusammen, herausgegeben von der Amadeu Antonio Stiftung. „Ideologie lässt sich subtil und schleichend vermitteln. Daher sind hinsichtlich der Narrative der extremen Rechten Vorkenntnisse vonnöten, um kontextualisieren zu können, was einem an Symbolen und Begriffen entgegenkommt“, sagt der Politikwissenschaftler und Projekt-Mitarbeiter Vincent Knopp von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Wiesbaden.
Für die Recherche waren die Wissenschaftler*innen unter anderem verdeckt in rechtsextremen Foren unterwegs und sie sprachen mit männlichen Aussteigern. „Extrem rechte Aktivist*innen möchten triggern und leben somit auch von der Empörung des nicht-rechten Teils der Bevölkerung. Sie freuen sich über Reaktionen, Klicks und Shares sowie darauf, politische Gegner*innen ins eigene Spiel miteinzubeziehen“, so Knopp.
Die Analysen zeigen, dass rechte Aktivist*innen ihre Memes gezielt in Chatgruppen und Kommentarspalten verbreiten, wo Politik weniger auf der Tagesordnung steht. „Strategisch wird versucht, mithilfe von Memes bestimmte Ressentiments akzeptabel zu machen und Wertvorstellungen zu verschieben, noch lange bevor es um politische Debatten selber geht. Die rechte Szene spricht hier von Metapolitik“, sagt der Philosoph und Projektkoordinator Kai Denker von der Technischen Universität Darmstadt.
Tipps zum Erkennen rechtsextremer Memes
Um Memes mit rechtsextremen Weltbildern aufzudecken, empfehlen Denker und Knopp auf typische Darstellungsmuster, Stilelemente und Figuren zu achten. Das sind die wichtigsten:
- Symbole wie „Pepe, den Frosch“ (menschenähnliche Froschfigur), die „schwarze Sonne“ (ineinander gedrehte Hakenkreuze),Clownsgesicht Emoji, Avocado Emoj
- Anspielungen auf Zahlencodes wie 18, 88, 14 oder 444
- kunsthistorische Bezüge, die für die NS-Ästhetik stehen, wie den Fackelträger und blonde Frauen mit Kindern
- Personen aus dem aktuellen politischen Umfeld, kombiniert mit abwertenden Sprüchen
- Fashwave-Style, ein Mix aus Elementen der NS-Ästhetik und visuellen Effekten wie Bildstörungen, Neonfarben und Verpixelungen
- Bezüge zu Autoren wie Martin Heidegger, Ernst Jünger, Julius Evola und zu bekannten Romanautoren wie George Orwell und Aldous Huxley
- Spiel mit Hässlichkeit und Formlosigkeit: ungeordnete Bildelemente, derangierte Kleidung, Übergewicht, schlechte Zähne
Dass du problematische Memes besser erkennst, setzt natürlich voraus, dass du mit ihnen auch umzugehen weißt. Mit Emojis in Textnachrichten kann man ja auch ins Fettnäpfchen treten. Und zwar dann, wenn man nicht im Bilde ist, dass Aubergine und Honignapf eine sexuelle Bedeutung haben. Dirk von Gehlen, der Journalist und Autor des Buches Meme – Muster digitaler Kommunikation, schlägt daher vor, sich eine sogenannte Meme-Kompetenz anzueignen. Damit meint er die Fähigkeit:
- memetische Sprache verstehen zu können – ähnlich wie Dialekte, durch die sich Menschen in bestimmten Regionen einander zugehörig fühlen
- metaphorisch zu sprechen, indem du die dahinter liegenden Muster auf neue thematische Situationen überträgst
- Memes selbst zu erstellen und damit online zu kommunizieren
Von Gehlen habe nach eigener Aussage zufolge bei Seminaren an Schulen festgestellt, dass gerade Jugendliche mit Memes arbeiten, ohne diese selbst zu reflektieren. „Wir sollten Memes ernst nehmen und nicht als Albernheit abtun. Sie sind ein wichtiger Bestandteil von Sprache, weil sich Leute damit austauschen und Memes deren Kultur und Identität prägen“, so von Gehlen.
Fünf Schritte für mehr Meme-Kompetenz
Welchen Beitrag kannst du leisten, um das Gefahrenpotenzial von Internet-Memes für Debatten zu minimieren? Hier sind einige Schritte, die du unternehmen kannst:
- Geh auf Sprachreise: Wenn du memetische Sprache verstehen willst, ist es sinnvoll, dich an den Orten aufzuhalten, wo sie gesprochen und viel benutzt werden. Tritt beispielsweise gleichnamigen Gruppen auf Facebook bei oder folge Meme-Hastags auf Instagram. Werfe auch einen Blick in den Fundus an Meme-Vorlagen von Meme-Generatoren, die online verfügbar sind.
- Bei Jugendlichen nachfragen: Schlüpfe selbst bewusst in die Rolle eines Interviewers. Frage junge Menschen, warum sie Memes benutzen. Lass dich beraten, welche Memes zu welcher Situation gut passen und beobachte in Familienchat-Gruppen, wann sie solche Memes posten.
- Nutze Suchmaschinen und Nachschlagewerke: Die allermeisten Inhalte sind – zumindest auf Englisch – im Netz erklärt, etwa auf der Website knowyourmeme.com oder findthatmeme.com. Um mehr Hintergrundinformationen zu einem speziellen Meme zu erhalten, kannst du alternativ auch die Schlagwortsuche in Suchmaschinen nutzen sowie Werkzeuge zur Bilderrückwärtssuche wie Google Images, Tineye oder Bing aufrufen.
- Stelle dein Gegenüber zur Rede: Wenn dir ein Meme verdächtig vorkommt, bietet es sich an, in ein Eins-zu-eins-Gespräch zu gehen – vor allem in geschlossenen Gruppen, in denen du dein Gegenüber bereits persönlich kennst. In offenen Gruppen, wo zumeist Anonymität herrscht und es Usus ist, sich in den Kommentarspalten auszutauschen, gehen die Expertenmeinungen auseinander. Denn wenn sich rechte Aktivist*innen hinter den Absender*innen verbergen sollten, sind diese in vielen Fällen auf Folgediskussionen vorbereitet. Andererseits ist es auch wichtig, öffentliche Gegenrede zu leisten, um weiteren Mitlesenden ein Vorbild zu sein.
- Rechtliche Schritte einleiten: Wenn dir Memes auf Social Media verdächtig vorkommen, nutze am besten die „Melden“-Links neben den Beiträgen. In Kommentarspalten etwa kannst du dich zusätzlich an die Moderator*innen des Kanals wenden. Eine weitere Möglichkeit bilden die örtlichen Polizeidienststellen und die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet, insbesondere bei Verdacht auf Volksverhetzung und Bedrohungen. Vergiss nicht die Beweise mithilfe von Screenshot zu sichern.
Fazit
Den Sprung aus der Online-Welt hinein in Politik, Wahlkämpfe und Co haben Memes mittlerweile geschafft. Gerade der Anspruch, Humor, Teilhabe und Mehrdeutigkeit zu vermitteln, macht den Charme von Memes aus. Sie können entsprechend zu Vorurteilen, Diskriminierung, Hate Speech und Fake News beitragen. Oftmals schwingt bei diesen Strategien die Hoffnung mit, dass Menschen Memes weiterverbreiten ohne Kenntnis des doppelbödigen Humors. Zudem wird darauf spekuliert, dass es sich Leser*innen mit einer rationalen Bewertung schwer tun – weil sie sich etwa von ihren eigenen Emotionen überwältigen lassen oder hohe Klickzahlen und Reaktionen anderer Nutzer*innen als vermeintliche Gütekriterien betrachten.
Speziell rechtsextreme Memes vermitteln ihre spaltenden Botschaften unterschwellig. Auch weil sie sonst Gefahr laufen würden, von Social-Media-Moderator*innen und Plattform-Betreiber*innen gelöscht zu werden. Letztlich geht es darum, Memes verantwortungsvoll zu nutzen. Es gilt, sich Fähigkeiten anzueignen, um Memes zu verstehen und diese selbst erstellen zu können.
Weiterführende Links:
- MDR-Video-Beitrag „Memes als digitale Insiderjokes“ vom 10. Februar 2023
- Correctiv-Recherche „Kein Filter für Rechts – Wie die rechte Szene Instagram benutzt, um junge Menschen zu rekrutieren“ vom 17. November 2020
- Kolumne von Ingrid Brodnig „Menschenfeindliche Gags im Internet: Schlechte Scherze“ vom 26. Oktober 2023
- Blog-Beitrag von Dirk von Gehlen „Meme-Literacy: Fünf Dinge, die ich beim Meme-Seminar gelernt habe“ vom 23. Juli 2023
Bildquellen: Falco Seliger, Vincent Knopp, Natalia Mamaj | Bearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
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