Wahlkampf im Web
Ob YouTube, Facebook oder Instagram – kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen tauchen in vielen Feeds Werbevideos, Texte und Fotos von Kandidierenden auf. Doch nicht alle Wahlberechtigten erhalten denselben Feed. Online-Inhalte sind heute überwiegend personalisiert. Wir zeigen, wie Online-Wahlkampf funktioniert und was dabei erlaubt ist. Außerdem: Was man beachten muss, wenn man sich selbst online politisch engagieren will.
CSU-Chef Markus Söder inszeniert sich in einem klassischen Werbevideo auf YouTube als eine Art Top-Manager für Bayern. Die hessische SPD-Politikerin Nancy Faeser postet auf Instagram Statements, in denen sie verspricht, sich für sozialen Wohnraum und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie einzusetzen. Und der hessische Grünen-Minister Tarek Al-Wazir veröffentlicht donnerstags Fotos auf Facebook, die an seine bisherige Arbeit für das Land Hessen erinnern – ganz im Sinne des Internet-Trends #ThrowbackThursday.
Dass Politiker*innen Wahlkampf auf Social-Media-Plattformen machen, ist mittlerweile fester Bestandteil von Wahlkampagnen. Beim klassischen Straßenwahlkampf hängen Politiktreibende Plakate auf, sie verteilen Werbeflyer und sprechen mit Fußgänger*innen. Im digitalen Raum werben sie eher mit Bannern oder Text- und Video-Beiträgen auf Facebook, Instagram, YouTube und Google. Bei der Bundestagswahl 2021 haben die im Bundestag vertretenen Parteien in den drei Monaten vor der Wahl insgesamt rund 4,7 Millionen Euro für Anzeigen auf diesen Plattformen ausgegeben. Das zeigt eine Auswertung von Spiegel Online.
Im Internet setzen sich die Kandidierenden oft professionell in Szene. Sie posten Beiträge, in denen sie ihre Arbeit und ihre Ansichten erklären oder Interviews führen, beispielsweise mit Influencer*innen. Das hat einen entscheidenden Vorteil für Wahlberechtigte: Sie erhalten so Einblicke in die Vorstellungswelt der Politiker*innen, ohne dass sie dafür Parteitage oder Wahlkampfveranstaltungen besuchen müssen.
Für Politiktreibende ist Online-Werbung umgekehrt günstiger und zielgenauer als Offline-Werbung. „Gerade dadurch, dass vermehrt KI zum Einsatz kommt, sind Inhalte schnell und kostengünstig produziert“, sagt Katja Muñoz, die im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Zusammenspiel zwischen sozialen Medien und Politik erforscht. „Ein paar Klicks – und schon hat man Bildmaterial, das vor dem Aufleben von KI noch deutlich teurer war.“ So verbreiteten beispielsweise Bundestagsabgeordnete der AfD zuletzt verschiedene KI-generierte „Fotos“, die täuschend echt wirken – etwa von einer Gruppe von Migranten mit wutverzerrten Mienen. Politiktreibende können mithilfe von Algorithmen im Internet auch gezielt potenzielle Wähler*innen ansprechen und dadurch schnell testen, ob Werbekampagnen erfolgreich sind.
Wie Parteien polarisieren
Andere Länder sind Deutschland in puncto digitalem Wahlkampf weit voraus: „In den USA werben Parteien und Politiker*innen im Internet viel professioneller und intensiver um Stimmen“, sagt Simon Kruschinski. Der Kommunikationswissenschaftler forscht schwerpunktmäßig zum Thema politische Wahlkampfkommunikation. Kein Wunder: Immerhin nutzen in den USA 29 Prozent der Bürger*innen Facebook als Nachrichtenquelle und 24 Prozent YouTube, zeigt eine Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism. In Deutschland sind es einer Umfrage vom selben Institut zufolge nur 14 beziehungsweise 16 Prozent. Aber: Die Bedeutung sozialer Medien wächst auch hierzulande: „In den vergangenen Jahren haben auch deutsche Parteien kontinuierlich mehr Geld für digitale Werbekampagnen auf Facebook und Co ausgegeben“, sagt Kruschinski.
Die meisten Parteien verfolgen im Internet eher eine traditionelle Strategie: Sie versuchen, vor allem Wahlberechtigte in den eigenen Parteihochburgen zum Wählen zu bringen, indem sie ihnen Schwerpunktthemen der Partei vorführen, erklärt Kruschinski. SPD-Politiker*innen äußern sich also zu #SozialerGerechtigkeit, FDP-Vertreter*innen eher zu #Deregulierung. Damit ihre Botschaften auch Menschen mit ähnlichen politischen Ansichten erreichen, wählen Parteien meist nach definierten Kategorien auf den verschiedenen Plattformen aus, wer die Posts bevorzugt sehen soll: zum Beispiel nach Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Ausbildung, Wohnort oder Interessen. Wenn sie die Wahlberechtigten dann auch persönlich ansprechen, spricht man von Microtargeting – einer Art zielgenauem Marketing.
Manche Parteien nutzen auch komplexere Strategien und spielen Werbeanzeigen an Nutzer*innen aus, die bereits Interesse an der Kampagne oder der Partei gezeigt haben oder die sich im Netz so ähnlich verhalten haben wie andere Sympathisant*innen – das lässt sich daraus ableiten, was Menschen klicken, kommentieren und weiterleiten. Auffällig ist laut Kruschinski: „Während die Grünen, die SPD und Die Linke ihre Werbeanzeigen meist an ein diverses Publikum ausspielen, fokussieren sich die anderen Parteien – insbesondere die AfD und die CDU – auf Männer jeden Alters.”
Facebook, YouTube und Instagram sind führende Werbeplattformen
„Die Bedeutung der Online-Kommunikation hat in den Parteien extrem zugenommen“, bestätigt Politikberater Martin Fuchs, der den digitalen Wahlkampf bei der Bundestagswahl 2021 untersucht hat. „Die meisten Parteien sind auf vier bis fünf Plattformen aktiv, sie konzentrieren sich aber auf zwei bis maximal drei, für die sie kontinuierlich Content erstellen.“ Facebook, Instagram und YouTube sind laut Fuchs immer noch die führenden Plattformen für politische Kommunikation. Auf der Plattform X, ehemals Twitter, wurde politische Werbung im Jahr 2019 gänzlich verboten. Im August dieses Jahres wurde das Verbot zwar wieder gekippt – nun soll es aber zunächst in den USA wieder aufgehoben werden.
Politikberater Fuchs kritisiert die Arbeit deutscher Parteien und Politiker*innen im Internet: „Meist werden die Dialogpotenziale nicht ausgereizt“, sagt er. Heißt: Viele Politiker*innen senden ihre Inhalte hinaus in die Welt, gehen dann aber nicht auf Reaktionen der Anhänger*innen und Kontrahent*innen ein. Fuchs vermisst an vielen Stellen ohnehin ein nachhaltiges Community Management. Wahlkämpfer*innen posten also schnell etwas, um die Menschen an die Wahlurnen zu bekommen, aber dann wenden sie sich anderen Themen zu. Besser wäre es Fuchs’ Ansicht nach, wenn sie langfristig versuchen würden, Follower*innen zu binden und mit ihnen dann auch in einen Austausch zu gehen.
Beiträge teilen, Hashtags generieren
Manche Parteien investieren erkennbar mehr Geld und Aufwand in Online-Werbekampagnen als andere. Das zeigte sich beispielhaft an den drei Monaten vor der Bundeswahl 2021: Hier investierten die Grünen laut Spiegel-Auswertung rund 700.000 Euro in Werbung bei Facebook und Instagram und noch einmal rund 900.000 Euro in Werbung auf Google und YouTube. Die CDU hatte ähnlich hohe Ausgaben. Auffallend gering waren dagegen die Investitionen der AfD – die Partei setzte primär auf Facebook und Instagram, investierte dort gut 200.000 Euro und gab noch einmal 14.000 Euro für Werbung auf Google und YouTube aus.
„Die AfD ist besonders stark im Mobilisieren“, erklärt Wissenschaftlerin Muñoz. Denn die Partei wisse, wie die Plattformen funktionieren. Wenn AfD-Vertreter*innen etwas gepostet haben, teilen Parteimitglieder und Sympathisant*innen den Inhalt zuverlässig im eigenen Netzwerk. So erreicht die Partei im Durchschnitt mehr Aufmerksamkeit als andere Online-Wahlkämpfer*innen. „Das sind Taktiken, die bei den anderen Parteien noch nicht vorhanden sind“, sagt die Wissenschaftlerin.
Hashtags sind im gesamten politischen Spektrum ein beliebtes Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen und Wähler*innen abzuholen. Bei der Bundestagswahl 2021 warb etwa die SPD mit #SozialePolitikFürDich, CDU-Politiker*innen mit #jetztabervoran. Die FDP nutzte #Generationengerechtigkeit, die Grünen und Die Linke positionierten sich mit #niewieder und #KeinVergessen gegen Faschismus und rechte Parteien.
Klar ist: Der Online-Wahlkampf spielt eine wichtige Rolle bei Wahlen und ergänzt den Straßenwahlkampf – da sind sich die Wissenschaftler*innen einig. Und die digitale Welt bietet eine Menge Potenzial. Allerdings birgt politische Onlinewerbung auch Gefahren: Erstens ist der Debatten-Ton in den sozialen Medien oft aggressiver, polarisierender und populistischer, wie eine Analyse der Tageszeitung Tagesspiegel und der Organisation Democracy Reporting International zur Bundestagswahl 2021 zeigt. Zweitens kann es passieren, dass sich falsche Informationen verbreiten. Und drittens ist bei den meisten Plattformen nicht klar, nach welchen Regeln sie User*innen Inhalte ausspielen. Dadurch können Wahlberechtigte ein verzerrtes oder zumindest sehr einseitiges Bild von Parteien bekommen.
Der rechtliche Rahmen
Grundsätzlich gilt: Werbung muss eindeutig zu erkennen sein, und das gilt auch für Werbung im Internet, wie das Telemediengesetz festlegt. Bei politischer Werbung sind außerdem die Vorgaben des Medienstaatsvertrags ausschlaggebend. Thanos Rammos, Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei Taylor Wessing, erklärt: „Es muss klar sein, in wessen Namen Werbung angezeigt wird, also wer für den Inhalt bezahlt.“ Werbende Beiträge müssen daher mit Begriffen wie „Werbung“, „Anzeige“ oder „finanziert durch …“ gekennzeichnet werden.
Eine neue, EU-weite Richtlinie, die bald auch hierzulande gilt, soll Nutzer*innen schützen und Online-Werbung transparenter machen. Der sogenannte Digital Services Act (DSA) verpflichtet die Betreiber*innen von Social-Media Plattformen, in ihren Nutzungsbedingungen künftig genau zu erklären, wie sie ihre Inhalte moderieren und wie ihre Empfehlungsalgorithmen funktionieren. Auf Facebook gibt es bereits seit dem Jahr 2018 eine eigene Werbebibliothek – hier können Nutzer*innen nachschauen, welche Anzeigen sie von welchen Unternehmen bekommen haben und wonach sie ausgewählt wurden. Ab Februar 2024 ist es Unternehmen, Parteien und Co dann auch verboten, Bürger*innen anhand von sensiblen Merkmalen wie der religiösen Überzeugung oder der sexuellen Orientierung anzuwerben.
Einfluss von Influencer*innen
Oft setzen sich auch Privatpersonen und Influencer*innen für politische Ziele ein. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Webvideoproduzent Rezo, der im Jahr 2019 vor der Europawahl ein YouTube-Video veröffentlichte, in dem er die CDU heftig kritisierte. Bis zur Europawahl im Mai 2019 erzielte sein Video mehr als zehn Millionen Abrufe. Ob das die CDU Stimmen gekostet hat, ist bis heute nicht ganz klar, eine Spiegel-Auswertung legt das zumindest nahe.
Privatpersonen können ihre persönliche Meinung auf Social Media unbeschränkt teilen und damit auch Parteien oder Kandidierende unterstützen – das ist durch die Meinungsfreiheit im Grundgesetz gedeckt, solange sie nicht verfassungsfeindliche Inhalte verbreiten oder Volksverhetzung betreiben.
Für Influencer*innen gelten andere Regeln: „Personen, die nicht ihre private Meinung verbreiten, sondern werblich tätig sind, müssen Werbung transparent machen und gesponserte Beiträge kennzeichnen“, sagt Rechtsanwalt Rammos. So oft kommt das allerdings gar nicht vor, denn deutsche Influencer*innen sind insgesamt eher zurückhaltend, ihre politische Meinung kundzutun. Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe: „Klare politische Meinungen polarisieren und kosten Influencer*innen daher auch Follower*innen“, sagt Wissenschaftlerin Muñoz. Deshalb konzentrieren sich die Influencer*innen meist auf populäre, weniger politische Themen und werben beispielsweise allgemein für Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Co – und nicht für eine einzelne Partei.
Fazit
Politiker*innen können im Netz viele Menschen erreichen und potenzielle Wähler*innen gezielt ansprechen. Somit ist Online-Wahlkampf effektiver als Straßenwahlkampf. Für Werbekampagnen im Internet greifen die Parteien auf verschiedene Stilmittel wie Hashtags und Geldbeträge zurück. Wie erfolgreich sie sind, hängt aber nur wenig mit den investierten Summen zusammen. Es ist davon auszugehen, dass Online-Wahlkampf in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt, da immer mehr sogenannte Digital Natives das Wahlalter erreichen. Auch wer sich online informieren will, sollte immer schauen, wer hinter den Inhalten steckt. Werbung muss immerhin als solche gekennzeichnet werden. Doch beeinflussen algorithmische Entscheidungssysteme der Plattformen, welche Inhalte man ausgespielt bekommt.
ÜBER DIE AUTORIN
Johanna Stein ist Volontärin bei der Wirtschaftsredaktion wortwert in Köln. Sie hat Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert und nebenbei Arbeitserfahrung in den Bereichen Print-, Online- und TV-Journalismus gesammelt, beispielsweise in der Online-Redaktion von SWR Aktuell.
Schon gewusst?
Soziale Medien und Politik sind bei jungen Menschen unter 30 Jahren eng verknüpft, zeigt eine Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Für 78 Prozent bieten soziale Netzwerke den schnellsten Zugang zum aktuellen Weltgeschehen. 43 Prozent lassen eigenen Angaben zufolge ihre politische Meinung durch soziale Medien beeinflussen. Umgekehrt glaubt ein Drittel der jungen Menschen, durch soziale Netzwerke die Politik beeinflussen zu können.
Wahlkampf im Web
Ob YouTube, Facebook oder Instagram – kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen tauchen in vielen Feeds Werbevideos, Texte und Fotos von Kandidierenden auf. Doch nicht alle Wahlberechtigten erhalten denselben Feed. Online-Inhalte sind heute überwiegend personalisiert. Wir zeigen, wie Online-Wahlkampf funktioniert und was dabei erlaubt ist. Außerdem: Was man beachten muss, wenn man sich selbst online politisch engagieren will.
CSU-Chef Markus Söder inszeniert sich in einem klassischen Werbevideo auf YouTube als eine Art Top-Manager für Bayern. Die hessische SPD-Politikerin Nancy Faeser postet auf Instagram Statements, in denen sie verspricht, sich für sozialen Wohnraum und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie einzusetzen. Und der hessische Grünen-Minister Tarek Al-Wazir veröffentlicht donnerstags Fotos auf Facebook, die an seine bisherige Arbeit für das Land Hessen erinnern – ganz im Sinne des Internet-Trends #ThrowbackThursday.
Dass Politiker*innen Wahlkampf auf Social-Media-Plattformen machen, ist mittlerweile fester Bestandteil von Wahlkampagnen. Beim klassischen Straßenwahlkampf hängen Politiktreibende Plakate auf, sie verteilen Werbeflyer und sprechen mit Fußgänger*innen. Im digitalen Raum werben sie eher mit Bannern oder Text- und Video-Beiträgen auf Facebook, Instagram, YouTube und Google. Bei der Bundestagswahl 2021 haben die im Bundestag vertretenen Parteien in den drei Monaten vor der Wahl insgesamt rund 4,7 Millionen Euro für Anzeigen auf diesen Plattformen ausgegeben. Das zeigt eine Auswertung von Spiegel Online.
Im Internet setzen sich die Kandidierenden oft professionell in Szene. Sie posten Beiträge, in denen sie ihre Arbeit und ihre Ansichten erklären oder Interviews führen, beispielsweise mit Influencer*innen. Das hat einen entscheidenden Vorteil für Wahlberechtigte: Sie erhalten so Einblicke in die Vorstellungswelt der Politiker*innen, ohne dass sie dafür Parteitage oder Wahlkampfveranstaltungen besuchen müssen.
Für Politiktreibende ist Online-Werbung umgekehrt günstiger und zielgenauer als Offline-Werbung. „Gerade dadurch, dass vermehrt KI zum Einsatz kommt, sind Inhalte schnell und kostengünstig produziert“, sagt Katja Muñoz, die im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Zusammenspiel zwischen sozialen Medien und Politik erforscht. „Ein paar Klicks – und schon hat man Bildmaterial, das vor dem Aufleben von KI noch deutlich teurer war.“ So verbreiteten beispielsweise Bundestagsabgeordnete der AfD zuletzt verschiedene KI-generierte „Fotos“, die täuschend echt wirken – etwa von einer Gruppe von Migranten mit wutverzerrten Mienen. Politiktreibende können mithilfe von Algorithmen im Internet auch gezielt potenzielle Wähler*innen ansprechen und dadurch schnell testen, ob Werbekampagnen erfolgreich sind.
Wie Parteien polarisieren
Andere Länder sind Deutschland in puncto digitalem Wahlkampf weit voraus: „In den USA werben Parteien und Politiker*innen im Internet viel professioneller und intensiver um Stimmen“, sagt Simon Kruschinski. Der Kommunikationswissenschaftler forscht schwerpunktmäßig zum Thema politische Wahlkampfkommunikation. Kein Wunder: Immerhin nutzen in den USA 29 Prozent der Bürger*innen Facebook als Nachrichtenquelle und 24 Prozent YouTube, zeigt eine Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism. In Deutschland sind es einer Umfrage vom selben Institut zufolge nur 14 beziehungsweise 16 Prozent. Aber: Die Bedeutung sozialer Medien wächst auch hierzulande: „In den vergangenen Jahren haben auch deutsche Parteien kontinuierlich mehr Geld für digitale Werbekampagnen auf Facebook und Co ausgegeben“, sagt Kruschinski.
Die meisten Parteien verfolgen im Internet eher eine traditionelle Strategie: Sie versuchen, vor allem Wahlberechtigte in den eigenen Parteihochburgen zum Wählen zu bringen, indem sie ihnen Schwerpunktthemen der Partei vorführen, erklärt Kruschinski. SPD-Politiker*innen äußern sich also zu #SozialerGerechtigkeit, FDP-Vertreter*innen eher zu #Deregulierung. Damit ihre Botschaften auch Menschen mit ähnlichen politischen Ansichten erreichen, wählen Parteien meist nach definierten Kategorien auf den verschiedenen Plattformen aus, wer die Posts bevorzugt sehen soll: zum Beispiel nach Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Ausbildung, Wohnort oder Interessen. Wenn sie die Wahlberechtigten dann auch persönlich ansprechen, spricht man von Microtargeting – einer Art zielgenauem Marketing.
Manche Parteien nutzen auch komplexere Strategien und spielen Werbeanzeigen an Nutzer*innen aus, die bereits Interesse an der Kampagne oder der Partei gezeigt haben oder die sich im Netz so ähnlich verhalten haben wie andere Sympathisant*innen – das lässt sich daraus ableiten, was Menschen klicken, kommentieren und weiterleiten. Auffällig ist laut Kruschinski: „Während die Grünen, die SPD und Die Linke ihre Werbeanzeigen meist an ein diverses Publikum ausspielen, fokussieren sich die anderen Parteien – insbesondere die AfD und die CDU – auf Männer jeden Alters.”
Facebook, YouTube und Instagram sind führende Werbeplattformen
„Die Bedeutung der Online-Kommunikation hat in den Parteien extrem zugenommen“, bestätigt Politikberater Martin Fuchs, der den digitalen Wahlkampf bei der Bundestagswahl 2021 untersucht hat. „Die meisten Parteien sind auf vier bis fünf Plattformen aktiv, sie konzentrieren sich aber auf zwei bis maximal drei, für die sie kontinuierlich Content erstellen.“ Facebook, Instagram und YouTube sind laut Fuchs immer noch die führenden Plattformen für politische Kommunikation. Auf der Plattform X, ehemals Twitter, wurde politische Werbung im Jahr 2019 gänzlich verboten. Im August dieses Jahres wurde das Verbot zwar wieder gekippt – nun soll es aber zunächst in den USA wieder aufgehoben werden.
Politikberater Fuchs kritisiert die Arbeit deutscher Parteien und Politiker*innen im Internet: „Meist werden die Dialogpotenziale nicht ausgereizt“, sagt er. Heißt: Viele Politiker*innen senden ihre Inhalte hinaus in die Welt, gehen dann aber nicht auf Reaktionen der Anhänger*innen und Kontrahent*innen ein. Fuchs vermisst an vielen Stellen ohnehin ein nachhaltiges Community Management. Wahlkämpfer*innen posten also schnell etwas, um die Menschen an die Wahlurnen zu bekommen, aber dann wenden sie sich anderen Themen zu. Besser wäre es Fuchs’ Ansicht nach, wenn sie langfristig versuchen würden, Follower*innen zu binden und mit ihnen dann auch in einen Austausch zu gehen.
Beiträge teilen, Hashtags generieren
Manche Parteien investieren erkennbar mehr Geld und Aufwand in Online-Werbekampagnen als andere. Das zeigte sich beispielhaft an den drei Monaten vor der Bundeswahl 2021: Hier investierten die Grünen laut Spiegel-Auswertung rund 700.000 Euro in Werbung bei Facebook und Instagram und noch einmal rund 900.000 Euro in Werbung auf Google und YouTube. Die CDU hatte ähnlich hohe Ausgaben. Auffallend gering waren dagegen die Investitionen der AfD – die Partei setzte primär auf Facebook und Instagram, investierte dort gut 200.000 Euro und gab noch einmal 14.000 Euro für Werbung auf Google und YouTube aus.
„Die AfD ist besonders stark im Mobilisieren“, erklärt Wissenschaftlerin Muñoz. Denn die Partei wisse, wie die Plattformen funktionieren. Wenn AfD-Vertreter*innen etwas gepostet haben, teilen Parteimitglieder und Sympathisant*innen den Inhalt zuverlässig im eigenen Netzwerk. So erreicht die Partei im Durchschnitt mehr Aufmerksamkeit als andere Online-Wahlkämpfer*innen. „Das sind Taktiken, die bei den anderen Parteien noch nicht vorhanden sind“, sagt die Wissenschaftlerin.
Hashtags sind im gesamten politischen Spektrum ein beliebtes Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen und Wähler*innen abzuholen. Bei der Bundestagswahl 2021 warb etwa die SPD mit #SozialePolitikFürDich, CDU-Politiker*innen mit #jetztabervoran. Die FDP nutzte #Generationengerechtigkeit, die Grünen und Die Linke positionierten sich mit #niewieder und #KeinVergessen gegen Faschismus und rechte Parteien.
Klar ist: Der Online-Wahlkampf spielt eine wichtige Rolle bei Wahlen und ergänzt den Straßenwahlkampf – da sind sich die Wissenschaftler*innen einig. Und die digitale Welt bietet eine Menge Potenzial. Allerdings birgt politische Onlinewerbung auch Gefahren: Erstens ist der Debatten-Ton in den sozialen Medien oft aggressiver, polarisierender und populistischer, wie eine Analyse der Tageszeitung Tagesspiegel und der Organisation Democracy Reporting International zur Bundestagswahl 2021 zeigt. Zweitens kann es passieren, dass sich falsche Informationen verbreiten. Und drittens ist bei den meisten Plattformen nicht klar, nach welchen Regeln sie User*innen Inhalte ausspielen. Dadurch können Wahlberechtigte ein verzerrtes oder zumindest sehr einseitiges Bild von Parteien bekommen.
Der rechtliche Rahmen
Grundsätzlich gilt: Werbung muss eindeutig zu erkennen sein, und das gilt auch für Werbung im Internet, wie das Telemediengesetz festlegt. Bei politischer Werbung sind außerdem die Vorgaben des Medienstaatsvertrags ausschlaggebend. Thanos Rammos, Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei Taylor Wessing, erklärt: „Es muss klar sein, in wessen Namen Werbung angezeigt wird, also wer für den Inhalt bezahlt.“ Werbende Beiträge müssen daher mit Begriffen wie „Werbung“, „Anzeige“ oder „finanziert durch …“ gekennzeichnet werden.
Eine neue, EU-weite Richtlinie, die bald auch hierzulande gilt, soll Nutzer*innen schützen und Online-Werbung transparenter machen. Der sogenannte Digital Services Act (DSA) verpflichtet die Betreiber*innen von Social-Media Plattformen, in ihren Nutzungsbedingungen künftig genau zu erklären, wie sie ihre Inhalte moderieren und wie ihre Empfehlungsalgorithmen funktionieren. Auf Facebook gibt es bereits seit dem Jahr 2018 eine eigene Werbebibliothek – hier können Nutzer*innen nachschauen, welche Anzeigen sie von welchen Unternehmen bekommen haben und wonach sie ausgewählt wurden. Ab Februar 2024 ist es Unternehmen, Parteien und Co dann auch verboten, Bürger*innen anhand von sensiblen Merkmalen wie der religiösen Überzeugung oder der sexuellen Orientierung anzuwerben.
Einfluss von Influencer*innen
Oft setzen sich auch Privatpersonen und Influencer*innen für politische Ziele ein. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Webvideoproduzent Rezo, der im Jahr 2019 vor der Europawahl ein YouTube-Video veröffentlichte, in dem er die CDU heftig kritisierte. Bis zur Europawahl im Mai 2019 erzielte sein Video mehr als zehn Millionen Abrufe. Ob das die CDU Stimmen gekostet hat, ist bis heute nicht ganz klar, eine Spiegel-Auswertung legt das zumindest nahe.
Privatpersonen können ihre persönliche Meinung auf Social Media unbeschränkt teilen und damit auch Parteien oder Kandidierende unterstützen – das ist durch die Meinungsfreiheit im Grundgesetz gedeckt, solange sie nicht verfassungsfeindliche Inhalte verbreiten oder Volksverhetzung betreiben.
Für Influencer*innen gelten andere Regeln: „Personen, die nicht ihre private Meinung verbreiten, sondern werblich tätig sind, müssen Werbung transparent machen und gesponserte Beiträge kennzeichnen“, sagt Rechtsanwalt Rammos. So oft kommt das allerdings gar nicht vor, denn deutsche Influencer*innen sind insgesamt eher zurückhaltend, ihre politische Meinung kundzutun. Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe: „Klare politische Meinungen polarisieren und kosten Influencer*innen daher auch Follower*innen“, sagt Wissenschaftlerin Muñoz. Deshalb konzentrieren sich die Influencer*innen meist auf populäre, weniger politische Themen und werben beispielsweise allgemein für Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Co – und nicht für eine einzelne Partei.
Fazit
Politiker*innen können im Netz viele Menschen erreichen und potenzielle Wähler*innen gezielt ansprechen. Somit ist Online-Wahlkampf effektiver als Straßenwahlkampf. Für Werbekampagnen im Internet greifen die Parteien auf verschiedene Stilmittel wie Hashtags und Geldbeträge zurück. Wie erfolgreich sie sind, hängt aber nur wenig mit den investierten Summen zusammen. Es ist davon auszugehen, dass Online-Wahlkampf in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt, da immer mehr sogenannte Digital Natives das Wahlalter erreichen. Auch wer sich online informieren will, sollte immer schauen, wer hinter den Inhalten steckt. Werbung muss immerhin als solche gekennzeichnet werden. Doch beeinflussen algorithmische Entscheidungssysteme der Plattformen, welche Inhalte man ausgespielt bekommt.
ÜBER DIE AUTORIN
Johanna Stein ist Volontärin bei der Wirtschaftsredaktion wortwert in Köln. Sie hat Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert und nebenbei Arbeitserfahrung in den Bereichen Print-, Online- und TV-Journalismus gesammelt, beispielsweise in der Online-Redaktion von SWR Aktuell.
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