„Die schreiben eh nicht über das, was wirklich interessiert“
Die meisten Menschen vertrauen Medien wie Tagesschau, Spiegel und Co. Übermäßige Berichterstattung wie im Fall des U-Boot-Unglücks "Titan" erscheinen da wie ein Rückschlag. Hier überschlug sich die Nachrichtenlage im Juni dieses Jahres, ganz im Gegensatz zu einem zeitgleichen Schiffsunglück vor Griechenland. Solche Situationen sind es, in denen der Zweifel nagt, ob Medien insgeheim einer Agenda folgen, die nicht offensichtlich ist. Wie kommt es, dass wir solche Gedanken hegen? Und wie hoch ist das Medienvertrauen eigentlich in der Bevölkerung?
Als vor einigen Wochen zwei Unglücksfälle im Meer fast zeitlich aufeinandertrafen, wurde nur eines von beiden zum Medienereignis. Das verschollene U-Boot im Nordatlantik mit fünf Toten füllte unzählige Nachrichtenspalten, war Gegenstand von Push-Benachrichtigungen und Stoff für Reportagen. Über die 500 Toten bei einem Bootsunglück vor der Küste Griechenlands gab es deutlich weniger Medienecho. Bei vielen sorgte das für Unmut. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung hieß es beispielsweise: „Mittlerweile stößt mich die Berichterstattung über das vermisste Tauchboot ab, denn offensichtlich ist das Leben einiger Superreicher mehr wert (…) als das von Flüchtlingen.“
Immer wieder sind es vor allem polarisierende Ereignisse, bei denen Menschen skeptisch werden: Steckt da nicht eine Agenda hinter der Art und Weise, wie Themen gewichtet werden? Misstrauen gegenüber den Medien ist insbesondere im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 zu einem wichtigen Thema in öffentlichen Debatten geworden. Manifestiert hat sich das in Vorwürfen einer „Systempresse“ und „Lügenpresse“ gegenüber Zeitungen, Radio und Co. Dieser Verdacht, dass die etablierten Medien ihre eigentlichen Absichten verschleiern, führt mitunter zu dauerhaftem Misstrauen ihnen gegenüber. Fakten und Einschätzungen aus Nachrichten und Beiträgen werden dann oft nicht als Anregung und Problemlösung für die eigene Meinungsbildung verstanden.
Das Vertrauen in Medien ist aber für unsere Gesellschaft relevant. Medien nehmen seit jeher eine Vermittlerrolle in unserer Demokratie ein, indem sie verschiedene Standpunkte abbilden und sich – wie im Pressekodex verankert – der Wahrhaftigkeit verpflichten (also um verlässliche Informationen bemüht sind). Dieses Rollenverständnis bildet die Grundlage für Debatten, politisches Engagement und das Miteinander im Allgemeinen. Medien arbeiten auch für uns, indem sie bis zum Ursprung einer Nachricht vordringen und uns Informationen aus erster Hand liefern. Gerade bei Themen, die Menschen stark mit Sicherheits- und Freiheitsfragen verbinden, geben uns vertrauenswürdige Informationen Orientierung und genau dort ist Vertrauen besonders sensibel zu handhaben. So wollen wir beispielsweise richtig informiert werden, wenn im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken, weil es vielleicht genau solche Nachrichten sind, die unsere eigenen Probleme in die richtige Perspektive rücken – was mitunter zum Spenden für Hilfsorganisationen oder zur Mitgliedschaft in rechtspopulistischen Parteien ermuntern kann.
Medienvertrauen laut Langzeitstudie hoch
Als Forschungsfeld sind Vertrauen und Misstrauen in die Medien oft kein leichtes Unterfangen – es gibt zwar Einzelbefunde, aber die fallen relativ unterschiedlich und teilweise widersprüchlich aus. Langzeitstudien gelten da als verlässlicher. Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen, die 2008 als Pilotprojekt gestartet ist, erforscht seit 2015, wie die Deutschen zu den Medien stehen. Darin zeigt sich: Das Medienvertrauen der Deutschen ist hoch. In der aktuellen Umfrage stimmen 49 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale und Krisen – kann man den Medien vertrauen“. Im Umkehrschluss heißt das: Die Deutschen sind weniger misstrauisch als vermutet.
Die Ergebnisse verblüffen selbst Forschungsleiter Tanjev Schultz: „Es gibt ein erstaunliches Allzeithoch der Zustimmung. Während der Corona-Pandemie lagen die Werte mit 56 Prozent sogar auf dem höchsten Niveau, das wir je hatten.“ Diejenigen, die den Medien vertrauen, seien aber auch nicht unbedingt unkritisch, so Schultz weiter. „Wir beobachten auch eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Medienentfremdung, bei der beispielsweise 21 Prozent der Befragten angeben, dass sich mediale Themen nicht im Alltag widerspiegeln.“ Hinzu kämen extrem kritische bis feindselige Einstellungen, die aktuell mit einem Wert von 14 Prozent von einer Minderheit der Bevölkerung geteilt werden und sich in den vergangenen Jahren verhärtet hätten.
Wie kommt es, dass Menschen den Eindruck haben, Medien bildeten nicht solche Themen ab, die ihnen wichtig sind? Dabei spielt ein psychologischer Mechanismus eine Rolle, bei dem Menschen Berichterstattung in der Regel als verzerrt entgegen ihrer eigenen Meinung wahrnehmen – und das betrifft auch neutrale Berichterstattung. Wenn man beispielsweise denselben Artikel über Aktionen von Klima-Aktivist*innen einer Reihe von Befürworter*innen und Gegner*innen solcher Vorgehensweisen vorlegt, dann bewerten beide Lager den Bericht als unfair. Die Befürworter*innen sehen den Beitrag eher als Kritik an Klima-Aktionen, die Gegner*innen eher als Befürwortung solcher Klima-Aktionen. In der Forschung ist dieses Phänomen schon seit Jahrzehnten gut belegt unter dem Begriff „Hostile-Media-Effekt“. Eine Möglichkeit, sich dieses Effekts bewusst zu werden, besteht darin zu prüfen, inwiefern eine Aussage, die der eigenen Meinung widerspricht, tatsächlich meinungsgefärbt ist beziehungsweise mit neutralen Formulierungen arbeitet.
Darüber hinaus erklärt sich Vertrauensverlust auch aus den strukturellen Umständen des Medienbetriebs. Hier eine unvollständige Auflistung:
- Kommerzialisierung des Journalismus: Medienunternehmen sind an Marktlogiken gekoppelt. Damit sie ihre Reichweite erhöhen können, legen sie in der Berichterstattung verstärkt Wert auf etwa Skandalisierung, Emotionalisierung und einen breiten Massengeschmack.
- Plattformisierung der Öffentlichkeit: Die Unternehmen hinter sozialen Medien und Suchmaschinen bestimmen, welche Informationen im Internet gefunden werden. Algorithmische Empfehlungssysteme regeln, welche Beiträge den Nutzer*innen ausgespielt werden. Die Auswahl an Themen und Absender*innen kann beispielsweise die Wahrnehmung verstärken, dass Medien ihrer Informationspflicht nicht umfassend und nur unausgewogen nachkommen.
- Journalistische Arbeitsprozesse: Wie jeder Beruf fußt der von Journalist*innen auf Grundlagen, wie gearbeitet wird. So gibt es etwa bestimmte Vorgehensweisen bei der Recherche, die als Goldstandard gelten und die dazu führen können, dass Berichterstattung in der Regel nach einem ähnlichen Schema abläuft. Beispielsweise halten sich seriöse Medien zurück oder bezeichnen Informationen als „unbestätigt“, wenn diese nicht mindestens von zwei bis drei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt worden sind. Hinzu kommt die Sonderstellung von Medienhäusern beim Zugang zu Quellen, etwa in Form von Pressekonferenzen. Insbesondere werden Informationen von öffentlichen Amtsträger*innen als verlässlich eingestuft und gerade deshalb in die Berichterstattung eingebunden.
Medienhäuser in der Pflicht
In der digitalen Transformation sind Medien besonders gefragt, Vertrauen in der Bevölkerung zu erhalten. Denn mit einem Klick auf dem oder Wisch über das Smartphone können wir plötzlich über „alternative“ Blogs und anderen Formen der Gegenöffentlichkeit mit Sichtweisen in Berührung kommen, die Fake News verbreiten und unser bisheriges Medienvertrauen im schlimmsten Fall schwächen. „Aktuell verlassen sich viele Medien auf das Vertrauen, das ihnen Leser noch in prädigitalen Zeiten geschenkt hatten, und das sie gegenüber ihren Marken haben“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Fabian Prochazka von der Universität Erfurt.
In einer seiner jüngsten Untersuchungen ging er der Frage nach, wie journalistische Reaktionen auf Medienkritik im Netz am besten funktionieren. In dem Online-Experiment zeigte sich: Es ist eine eher gute Strategie, wenn Journalist*innen transparent über Fehler aufklären und detaillierte Begründungen anführen. Informationskästen mit Hintergründen zum Thema und Sammlungen von Links zu verwendeten Quellen seien weitere Ansatzpunkte. Prochazka macht aber auch deutlich: „Transparenz im Sinne einer Fehlerkultur, bei der Verantwortung übernommen wird, ist im Journalismus immer noch nicht Usus.“
Misstrauen in etablierte Medien kann laut dem Verein Neue Deutsche Medienmacher*innen auch abgebaut werden, indem sich Redaktionen und Führungsetagen diverser aufstellen beziehungsweise indem diese vielfältig besetzt werden. Aus Sicht des Vereins ist das immer noch kaum die Regel, obwohl sich die Deutschen in einer postmigrantischen Gesellschaft befinden, so Vorstandsmitglied Ella Schindler. Zugleich könne kein Medienhaus in Deutschland auf Nachfrage etwa Auskunft darüber geben, wie viele Leute mit Migrationshintergrund dort arbeiten. „Grundsätzlich steht über allem der journalistische Auftrag, die Gesellschaft abzubilden, wie sie ist, und in der Berichterstattung niemanden zu stigmatisieren. Wenn Redaktionen viel mehr aus Medienschaffenden mit Einwanderungsgeschichte, mit einer Behinderung oder queeren Personen zusammengesetzt wären, gäbe es viel mehr Menschen, die bei der derzeitigen Herangehensweise an Themen und Bebilderung ihr Veto einlegen würden“, sagt Schindler.
Dass Vorurteile und Pauschalisierungen etwa beim Islambild von Presse und Rundfunk hierzulande weiterhin bestehen, macht der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit deutlich. Darin wird auf das Paradebeispiel der muslimischen Frau mit Kopftuch verwiesen, das überdurchschnittlich häufig in Medien abgebildet wird – wenn auch sehr viele Musliminnen gar kein Kopftuch tragen. „Wenn wir nicht wollen, dass Menschen sich von Medien abwenden, dann müssen Medienhäuser Diversität in den Redaktionen sowie eine diversitätsbewusste Berichterstattung ganz oben auf ihre To-do-Liste setzen. Sonst werden sich diese Personengruppen möglicherweise anderen Medienformaten wie den sogenannten Alternativmedien zuwenden, und dann haben wir gesellschaftlich ein umso größeres Problem,“ sagt Schindler. Wie Vielfalt in den Medien erreicht werden kann, erläutert der Verein in dem Recherchepapier „Viel Wille, kein Weg“.
Fazit
Generell gibt es in Deutschland keine Vertrauenskrise gegenüber den Medien – auch wenn dieser Eindruck angesichts von Medienskandalen und populistischen Parolen auf Demonstrationen entstehen könnte. Allerdings hat sich über die Jahre hinweg auch ein harter Kern äußerst misstrauischer Bürger*innen gebildet. Das mag mit der digitalen Transformation zusammenhängen, in der sich die Rolle des Journalismus stark gewandelt hat. Etablierte Medienhäuser sind nicht mehr die einzigen, die den Menschen Orientierung geben und diese informieren.
Im Wettbewerb mit Influencer*innen, Verschwörungsblogs und Co sind sie deshalb besonders herausgefordert, relevante Themen für Debatten zugänglich zu machen. Es geht um den Erhalt, die Verfestigung und Zurückgewinnung von Vertrauen in der Bevölkerung. Eine transparente Fehlerkultur, Aufklärung über Arbeitsweise und Diversität in Redaktionen und Führungsposten sind erste Wege, um den Menschen ein Gefühl zu geben, dass ihre Sorgen vor einer beispielsweise bevorzugten Berichterstattung wie im Fall des „Titan“-Tauchboots ernst genommen werden. Darüber hinaus stehen Nutzer*innen selbst in der Verantwortung, indem sie die wichtige Rolle der etablierten Medien anerkennen und ihnen konstruktiv, aber auch prüfend gegenüber stehen – etwa mit Leserbriefen und Kritik in den Kommentarspalten unter Social-Media-Beiträgen.
Weiterführende Links
- Übermedien Podcast „Wie sehr vertrauen die Menschen den Medien noch – und wie sehr sollten sie?“ vom 4. Mai 2023
- Druckausgleich Podcast „Warum wir Lichtjahre von diversen Redaktionen entfernt sind“ vom 18. Dezember 2022
- Deutschlandfunk Artikel „Tote Geflüchtete im Mittelmeer: Wir müssen aufhören, so zu tun, als wäre das ein Unglück“ vom 10. Juli 2023
Bildquellen: JS Mainz, Universität Erfurt/Lisa Wollenschläger, Michael Matejka | Bildbearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
Medienvertrauen ist auch verbunden mit journalistischen Qualitätskriterien wie der Sorgfaltspflicht. Diese ist im Presserecht der einzelnen Bundesländer geregelt (Landespressegesetz). Sorgfalt heißt konkret, dass Nachrichten vor ihrer Veröffentlichung auf Herkunft, Inhalt und Wahrheitsgehalt überprüft werden müssen und nicht verfälscht oder sinnentstellend dargestellt werden dürfen.
„Die schreiben eh nicht über das, was wirklich interessiert“
Die meisten Menschen vertrauen Medien wie Tagesschau, Spiegel und Co. Übermäßige Berichterstattung wie im Fall des U-Boot-Unglücks "Titan" erscheinen da wie ein Rückschlag. Hier überschlug sich die Nachrichtenlage im Juni dieses Jahres, ganz im Gegensatz zu einem zeitgleichen Schiffsunglück vor Griechenland. Solche Situationen sind es, in denen der Zweifel nagt, ob Medien insgeheim einer Agenda folgen, die nicht offensichtlich ist. Wie kommt es, dass wir solche Gedanken hegen? Und wie hoch ist das Medienvertrauen eigentlich in der Bevölkerung?
Als vor einigen Wochen zwei Unglücksfälle im Meer fast zeitlich aufeinandertrafen, wurde nur eines von beiden zum Medienereignis. Das verschollene U-Boot im Nordatlantik mit fünf Toten füllte unzählige Nachrichtenspalten, war Gegenstand von Push-Benachrichtigungen und Stoff für Reportagen. Über die 500 Toten bei einem Bootsunglück vor der Küste Griechenlands gab es deutlich weniger Medienecho. Bei vielen sorgte das für Unmut. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung hieß es beispielsweise: „Mittlerweile stößt mich die Berichterstattung über das vermisste Tauchboot ab, denn offensichtlich ist das Leben einiger Superreicher mehr wert (…) als das von Flüchtlingen.“
Immer wieder sind es vor allem polarisierende Ereignisse, bei denen Menschen skeptisch werden: Steckt da nicht eine Agenda hinter der Art und Weise, wie Themen gewichtet werden? Misstrauen gegenüber den Medien ist insbesondere im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 zu einem wichtigen Thema in öffentlichen Debatten geworden. Manifestiert hat sich das in Vorwürfen einer „Systempresse“ und „Lügenpresse“ gegenüber Zeitungen, Radio und Co. Dieser Verdacht, dass die etablierten Medien ihre eigentlichen Absichten verschleiern, führt mitunter zu dauerhaftem Misstrauen ihnen gegenüber. Fakten und Einschätzungen aus Nachrichten und Beiträgen werden dann oft nicht als Anregung und Problemlösung für die eigene Meinungsbildung verstanden.
Das Vertrauen in Medien ist aber für unsere Gesellschaft relevant. Medien nehmen seit jeher eine Vermittlerrolle in unserer Demokratie ein, indem sie verschiedene Standpunkte abbilden und sich – wie im Pressekodex verankert – der Wahrhaftigkeit verpflichten (also um verlässliche Informationen bemüht sind). Dieses Rollenverständnis bildet die Grundlage für Debatten, politisches Engagement und das Miteinander im Allgemeinen. Medien arbeiten auch für uns, indem sie bis zum Ursprung einer Nachricht vordringen und uns Informationen aus erster Hand liefern. Gerade bei Themen, die Menschen stark mit Sicherheits- und Freiheitsfragen verbinden, geben uns vertrauenswürdige Informationen Orientierung und genau dort ist Vertrauen besonders sensibel zu handhaben. So wollen wir beispielsweise richtig informiert werden, wenn im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken, weil es vielleicht genau solche Nachrichten sind, die unsere eigenen Probleme in die richtige Perspektive rücken – was mitunter zum Spenden für Hilfsorganisationen oder zur Mitgliedschaft in rechtspopulistischen Parteien ermuntern kann.
Medienvertrauen laut Langzeitstudie hoch
Als Forschungsfeld sind Vertrauen und Misstrauen in die Medien oft kein leichtes Unterfangen – es gibt zwar Einzelbefunde, aber die fallen relativ unterschiedlich und teilweise widersprüchlich aus. Langzeitstudien gelten da als verlässlicher. Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen, die 2008 als Pilotprojekt gestartet ist, erforscht seit 2015, wie die Deutschen zu den Medien stehen. Darin zeigt sich: Das Medienvertrauen der Deutschen ist hoch. In der aktuellen Umfrage stimmen 49 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale und Krisen – kann man den Medien vertrauen“. Im Umkehrschluss heißt das: Die Deutschen sind weniger misstrauisch als vermutet.
Die Ergebnisse verblüffen selbst Forschungsleiter Tanjev Schultz: „Es gibt ein erstaunliches Allzeithoch der Zustimmung. Während der Corona-Pandemie lagen die Werte mit 56 Prozent sogar auf dem höchsten Niveau, das wir je hatten.“ Diejenigen, die den Medien vertrauen, seien aber auch nicht unbedingt unkritisch, so Schultz weiter. „Wir beobachten auch eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Medienentfremdung, bei der beispielsweise 21 Prozent der Befragten angeben, dass sich mediale Themen nicht im Alltag widerspiegeln.“ Hinzu kämen extrem kritische bis feindselige Einstellungen, die aktuell mit einem Wert von 14 Prozent von einer Minderheit der Bevölkerung geteilt werden und sich in den vergangenen Jahren verhärtet hätten.
Wie kommt es, dass Menschen den Eindruck haben, Medien bildeten nicht solche Themen ab, die ihnen wichtig sind? Dabei spielt ein psychologischer Mechanismus eine Rolle, bei dem Menschen Berichterstattung in der Regel als verzerrt entgegen ihrer eigenen Meinung wahrnehmen – und das betrifft auch neutrale Berichterstattung. Wenn man beispielsweise denselben Artikel über Aktionen von Klima-Aktivist*innen einer Reihe von Befürworter*innen und Gegner*innen solcher Vorgehensweisen vorlegt, dann bewerten beide Lager den Bericht als unfair. Die Befürworter*innen sehen den Beitrag eher als Kritik an Klima-Aktionen, die Gegner*innen eher als Befürwortung solcher Klima-Aktionen. In der Forschung ist dieses Phänomen schon seit Jahrzehnten gut belegt unter dem Begriff „Hostile-Media-Effekt“. Eine Möglichkeit, sich dieses Effekts bewusst zu werden, besteht darin zu prüfen, inwiefern eine Aussage, die der eigenen Meinung widerspricht, tatsächlich meinungsgefärbt ist beziehungsweise mit neutralen Formulierungen arbeitet.
Darüber hinaus erklärt sich Vertrauensverlust auch aus den strukturellen Umständen des Medienbetriebs. Hier eine unvollständige Auflistung:
- Kommerzialisierung des Journalismus: Medienunternehmen sind an Marktlogiken gekoppelt. Damit sie ihre Reichweite erhöhen können, legen sie in der Berichterstattung verstärkt Wert auf etwa Skandalisierung, Emotionalisierung und einen breiten Massengeschmack.
- Plattformisierung der Öffentlichkeit: Die Unternehmen hinter sozialen Medien und Suchmaschinen bestimmen, welche Informationen im Internet gefunden werden. Algorithmische Empfehlungssysteme regeln, welche Beiträge den Nutzer*innen ausgespielt werden. Die Auswahl an Themen und Absender*innen kann beispielsweise die Wahrnehmung verstärken, dass Medien ihrer Informationspflicht nicht umfassend und nur unausgewogen nachkommen.
- Journalistische Arbeitsprozesse: Wie jeder Beruf fußt der von Journalist*innen auf Grundlagen, wie gearbeitet wird. So gibt es etwa bestimmte Vorgehensweisen bei der Recherche, die als Goldstandard gelten und die dazu führen können, dass Berichterstattung in der Regel nach einem ähnlichen Schema abläuft. Beispielsweise halten sich seriöse Medien zurück oder bezeichnen Informationen als „unbestätigt“, wenn diese nicht mindestens von zwei bis drei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt worden sind. Hinzu kommt die Sonderstellung von Medienhäusern beim Zugang zu Quellen, etwa in Form von Pressekonferenzen. Insbesondere werden Informationen von öffentlichen Amtsträger*innen als verlässlich eingestuft und gerade deshalb in die Berichterstattung eingebunden.
Medienhäuser in der Pflicht
In der digitalen Transformation sind Medien besonders gefragt, Vertrauen in der Bevölkerung zu erhalten. Denn mit einem Klick auf dem oder Wisch über das Smartphone können wir plötzlich über „alternative“ Blogs und anderen Formen der Gegenöffentlichkeit mit Sichtweisen in Berührung kommen, die Fake News verbreiten und unser bisheriges Medienvertrauen im schlimmsten Fall schwächen. „Aktuell verlassen sich viele Medien auf das Vertrauen, das ihnen Leser noch in prädigitalen Zeiten geschenkt hatten, und das sie gegenüber ihren Marken haben“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Fabian Prochazka von der Universität Erfurt.
In einer seiner jüngsten Untersuchungen ging er der Frage nach, wie journalistische Reaktionen auf Medienkritik im Netz am besten funktionieren. In dem Online-Experiment zeigte sich: Es ist eine eher gute Strategie, wenn Journalist*innen transparent über Fehler aufklären und detaillierte Begründungen anführen. Informationskästen mit Hintergründen zum Thema und Sammlungen von Links zu verwendeten Quellen seien weitere Ansatzpunkte. Prochazka macht aber auch deutlich: „Transparenz im Sinne einer Fehlerkultur, bei der Verantwortung übernommen wird, ist im Journalismus immer noch nicht Usus.“
Misstrauen in etablierte Medien kann laut dem Verein Neue Deutsche Medienmacher*innen auch abgebaut werden, indem sich Redaktionen und Führungsetagen diverser aufstellen beziehungsweise indem diese vielfältig besetzt werden. Aus Sicht des Vereins ist das immer noch kaum die Regel, obwohl sich die Deutschen in einer postmigrantischen Gesellschaft befinden, so Vorstandsmitglied Ella Schindler. Zugleich könne kein Medienhaus in Deutschland auf Nachfrage etwa Auskunft darüber geben, wie viele Leute mit Migrationshintergrund dort arbeiten. „Grundsätzlich steht über allem der journalistische Auftrag, die Gesellschaft abzubilden, wie sie ist, und in der Berichterstattung niemanden zu stigmatisieren. Wenn Redaktionen viel mehr aus Medienschaffenden mit Einwanderungsgeschichte, mit einer Behinderung oder queeren Personen zusammengesetzt wären, gäbe es viel mehr Menschen, die bei der derzeitigen Herangehensweise an Themen und Bebilderung ihr Veto einlegen würden“, sagt Schindler.
Dass Vorurteile und Pauschalisierungen etwa beim Islambild von Presse und Rundfunk hierzulande weiterhin bestehen, macht der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit deutlich. Darin wird auf das Paradebeispiel der muslimischen Frau mit Kopftuch verwiesen, das überdurchschnittlich häufig in Medien abgebildet wird – wenn auch sehr viele Musliminnen gar kein Kopftuch tragen. „Wenn wir nicht wollen, dass Menschen sich von Medien abwenden, dann müssen Medienhäuser Diversität in den Redaktionen sowie eine diversitätsbewusste Berichterstattung ganz oben auf ihre To-do-Liste setzen. Sonst werden sich diese Personengruppen möglicherweise anderen Medienformaten wie den sogenannten Alternativmedien zuwenden, und dann haben wir gesellschaftlich ein umso größeres Problem,“ sagt Schindler. Wie Vielfalt in den Medien erreicht werden kann, erläutert der Verein in dem Recherchepapier „Viel Wille, kein Weg“.
Fazit
Generell gibt es in Deutschland keine Vertrauenskrise gegenüber den Medien – auch wenn dieser Eindruck angesichts von Medienskandalen und populistischen Parolen auf Demonstrationen entstehen könnte. Allerdings hat sich über die Jahre hinweg auch ein harter Kern äußerst misstrauischer Bürger*innen gebildet. Das mag mit der digitalen Transformation zusammenhängen, in der sich die Rolle des Journalismus stark gewandelt hat. Etablierte Medienhäuser sind nicht mehr die einzigen, die den Menschen Orientierung geben und diese informieren.
Im Wettbewerb mit Influencer*innen, Verschwörungsblogs und Co sind sie deshalb besonders herausgefordert, relevante Themen für Debatten zugänglich zu machen. Es geht um den Erhalt, die Verfestigung und Zurückgewinnung von Vertrauen in der Bevölkerung. Eine transparente Fehlerkultur, Aufklärung über Arbeitsweise und Diversität in Redaktionen und Führungsposten sind erste Wege, um den Menschen ein Gefühl zu geben, dass ihre Sorgen vor einer beispielsweise bevorzugten Berichterstattung wie im Fall des „Titan“-Tauchboots ernst genommen werden. Darüber hinaus stehen Nutzer*innen selbst in der Verantwortung, indem sie die wichtige Rolle der etablierten Medien anerkennen und ihnen konstruktiv, aber auch prüfend gegenüber stehen – etwa mit Leserbriefen und Kritik in den Kommentarspalten unter Social-Media-Beiträgen.
Weiterführende Links
- Übermedien Podcast „Wie sehr vertrauen die Menschen den Medien noch – und wie sehr sollten sie?“ vom 4. Mai 2023
- Druckausgleich Podcast „Warum wir Lichtjahre von diversen Redaktionen entfernt sind“ vom 18. Dezember 2022
- Deutschlandfunk Artikel „Tote Geflüchtete im Mittelmeer: Wir müssen aufhören, so zu tun, als wäre das ein Unglück“ vom 10. Juli 2023
Bildquellen: JS Mainz, Universität Erfurt/Lisa Wollenschläger, Michael Matejka | Bildbearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
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Medienvertrauen ist auch verbunden mit journalistischen Qualitätskriterien wie der Sorgfaltspflicht. Diese ist im Presserecht der einzelnen Bundesländer geregelt (Landespressegesetz). Sorgfalt heißt konkret, dass Nachrichten vor ihrer Veröffentlichung auf Herkunft, Inhalt und Wahrheitsgehalt überprüft werden müssen und nicht verfälscht oder sinnentstellend dargestellt werden dürfen.