News Fatigue
Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder die Klimakrise — negative Berichterstattung ist allgegenwärtig und bewirkt bei vielen Menschen eine zunehmende Unlust, sich mit Nachrichten auseinanderzusetzen. Wir blicken auf das Phänomen der „News Fatigue“ und zeigen auf, wie man damit umgehen kann. Hier erfährst du neue und bessere Wege, dich weiterhin auf dem Laufenden zu halten.
Mit einem Griff in die Hosentasche zum Smartphone lässt sich das Weltgeschehen im Nu verfolgen. Gute und schlechte Nachrichten erscheinen innerhalb weniger Sekunden auf dem Touchscreen. Die Auswahl und Wege, auf denen uns Informationen erreichen können, sind riesig: Messenger-Dienste, Podcast-Plattformen, Newsletter, Abonnements von Social-Media-Kanälen, Reels und Newsfeed, Push-Meldungen oder RSS-Feed.
Auf der Suche nach Sicherheit und Beschwichtigung hüpfen Menschen gerade in Krisenzeiten von einer zur nächsten Meldung. Das Problem: Sie verbinden es vielmehr mit dem Gefühl, die Umstände nicht ändern zu können, als zu deren Lösung beizutragen. So verschafft beispielsweise die Nachrichtenlage zur Corona-Pandemie und zum Angriffskrieg gegen die Ukraine Phänomenen wie dem sogenannten Doomscrolling oder Headline Stress Disorder (auf Deutsch: Schlagzeilen-Stressstörung) neue Aufmerksamkeit. Wie kommt man davon wieder weg?
Bewusster Entzug und Verzicht sind Konsequenzen, die einige Leute für sich ziehen. Daran lassen sie andere teilhaben. Auf YouTube etwa erzählen Blogger*innen über ihre Erfahrungen darüber, Social Media, Smartphone und Co vorübergehend oder langfristig aus dem Leben zu verbannen. In den Selbstexperimenten berichten sie von einem hoffnungsvolleren Blick auf das eigene Leben, von einer stabileren Stimmungslage und vom Gefühl, weniger gestresst zu sein.
Nachrichtenmüdigkeit als Reaktion auf Überforderung
„Wir befinden uns in einem Dilemma. Oftmals sind wir von der Vielzahl an Informationen überfordert. Das kann eine kognitive Überforderung aufgrund der schieren Masse an Informationen sein, aber auch eine emotionale Überforderung, vor allem bei Themen wie Krieg und Krisen. Daher entscheiden sich manche Menschen dafür, Nachrichten zu vermeiden – zeitweise, zu einem bestimmten Thema oder komplett,“ sagt Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Das Institut ist für die deutsche Teilstudie des „Reuters Institute Digital News Report 2022“ verantwortlich.
In dieser Langzeitstudie kommen die Forscher*innen zum Schluss, dass die Deutschen nachrichtenmüde sind. Demnach hat die Vermeidung von Nachrichten in allen Altersgruppen seit 2017 zugenommen. Zudem interessieren sich laut Studie nur noch 57 Prozent der Internetnutzer*innen in Deutschland für Nachrichten. Das sind zehn Prozent weniger als im Vorjahr – laut Wunderlich der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebung 2013. Nach Redaktionsschluss hat das Institut den Report 2023 veröffentlicht. Darin heißt es, Nachrichtenmüdigkeit in Deutschland nimmt weiter zu. Der Wert liegt aktuell bei 52 Prozent.
Nachrichtenmüdigkeit ist schon lange Gegenstand der Forschung, oftmals in Form von Untersuchungen über die mentalen und psychologischen Folgen des täglichen Nachrichtenkonsums. Bereits im 19. Jahrhundert machten Neurolog*innen auf Effekte wie „nervöse Erschöpfung“ aufmerksam. In den Kommunikationswissenschaften sind auch die Motive gut erforscht, warum Menschen Nachrichteninhalte umgehen. Hier ein paar Erkenntnisse:
Gründe, warum Menschen Nachrichten aktiv vermeiden:
- Plattformisierung: Technologiekonzerne wie Google, Meta und Co bilden die Infrastruktur für unsere heutige Kommunikation. Insbesondere in sozialen Netzwerken bezieht sich der Austausch sowohl auf öffentliche als auch auf private Inhalte. Hinzu kommen kontinuierliche Updates von Informationen, die ein Gefühl der Überlastung zurücklassen, weil es scheinbar eine unendliche Anzahl von Geschichten zu jedem Thema gibt.
- Technologie, Sicherheitsfragen und negative Effekte auf die Gesundheit: Datenschutzmängel, Suchtverhalten, Verfügbarkeit und Co sind Risiken, die für einige Menschen ein Warnzeichen sind.
- Themenverdrossenheit: Wenn Medien intensiv über einen längeren Zeitraum über Themen wie das Coronavirus und den Klimawandel berichten, führt das nicht nur dazu, dass man sich rundum informiert fühlt. Es kann sich auch eine Art innerer Widerstand einstellen, etwa eine ablehnende Haltung gegenüber der Thematik oder prinzipiell gegenüber journalistisch aufbereiteten Berichten.
- Verschobene Wahrnehmung: Positive Dinge finden selten den Weg in die Nachrichten, weil negative Nachrichten ein tendenziell größeres Interesse erzeugen. Nutzer*innen verbinden derartige Berichterstattung dann mit negativen Gefühlen. Die Nachrichtenauswahl beruht also zum einen auf einer verschobenen Wahrnehmung und kann zum anderen diese auch befeuern.
- Geringes Vertrauen: Manche Menschen nehmen Medien als parteiisch wahr und glauben, dass Nachrichten prinzipiell von einer politischen oder wirtschaftlichen Agenda gesteuert werden.
- Schwach ausgeprägtes Pflichtgefühl: Wer sich weniger für Politik interessiert oder kaum staatsbürgerliche Verpflichtungen wie die Teilnahme an Wahlen wertschätzt, empfindet weniger Verlangen, informiert zu bleiben.
- Persönliche Umstände wie Arbeitsbelastung, Urlaub und die Qualität des Internetempfangs beeinflussen ebenso das persönliche Nutzungsverhalten.
Was bedeutet das für die Art, wie du mit Nachrichten-Erschöpfung effektiv umgehen kannst? Welche Schritte sind sinnvoll, wenn man sich weiterhin informieren will, ohne dabei gleich überfordert zu sein?
Was Nachrichten-Erschöpfung ist und wann sie gefährlich sein kann
Nachrichtenmüdigkeit beziehungsweise News Fatigue ist kein Dauerzustand. Es handelt sich um ein vorübergehendes Gefühl der Erschöpfung, das nach genug Pausen wieder verschwindet. Prinzipiell ist Nachrichtenmüdigkeit eine natürliche Reaktion des Körpers auf Überforderung. Sie setzt ein, wenn sich Menschen von Nachrichten gestresst fühlen und schützt vor weiteren psychischen Belastungen. Solche Nachrichten müssen nicht zwangsläufig Naturkatastrophen, Krieg oder Krankheiten sein. Auch Berichte über private Angelegenheiten von Prominenten machen nachrichtenmüde.
Problematisch kann es werden, wenn man sich Nachrichten dauerhaft und mit voller Absicht verwehrt. In solchen Situationen geht es um eine bewusste Informationsverweigerung, die für den Alltag, das Miteinander, die Gesundheit und die politische Teilhabe sogar nachteilig sein kann. Wenn du beispielsweise Pendler*in bist und dich Strecken-Updates regelrecht überfordern, stehst du vielleicht eines Morgens an einem leeren Bahnsteig, weil du dich nicht rechtzeitig über die letzte Änderung beim Bahnstreik informiert hast. Wer aber immer weniger Lust hat, sich mit dem Weltgeschehen oder seinem direkten Umfeld auseinanderzusetzen, kann auch Gefahr laufen, sich Möglichkeiten der Mitbestimmung in der Gesellschaft zu verbauen.
Wie schaffst du nun die Balance zwischen einem gut informierten Leben und dem Vermeiden von News Fatigue?„Schlechte Nachrichten gehören zu unserem Leben dazu, aber sie sollten nicht bewirken, dass man komplett die Motivation zum Umgang mit ihnen verliert“, sagt Stephan Weichert. Er ist Medienwissenschaftler und Mitbegründer des Vocer Instituts für Digitale Resilienz in Hamburg. Das Forschungsfeld digitale Resilienz nimmt Fragen in den Blick, die dabei helfen, News Fatigue entgegenzusteuern. „Das Digitale erzeugt eine vermeintliche Nähe und man fühlt sich hypervernetzt. Es entwickeln sich zurzeit ganz viele starke Abhängigkeiten von Suchtverhalten über Nachrichtenvermeidungseffekt bis hin zum News Burnout. Das bereitet uns große Sorge. Daher müssen wir noch mehr darüber nachdenken, wie wir uns vor einer Total-Überlastung schützen können“, so der Experte.
In der Grundlagenstudie „Digitale Resilienz in der Medienforschung“ haben Weichert und sein Kollege Leif Kramp unter anderem untersucht, wie man seine Resilienz in Bezug auf digitales Medienhandeln steigern kann. Der Abschlussbericht umfasst zahlreiche Handlungsempfehlungen zur Stärkung der eigenen Widerstandskraft. Hier ein gekürzter und leicht abgeänderter Auszug:
Fünf Schritte zum Stressabbau:
- Bildschirm-Kontrolle: Überdenke und kontrolliere regelmäßig deine digitale Bildschirmzeit. In den Einstellungen vieler Smartphones lässt sich leicht nachlesen, wie viel Zeit für welche App draufgeht. Stelle diese Nutzungszeiten den Tätigkeiten gegenüber, für die du beruflich oder privat gerne mehr wertvolle Zeit aufbringen würdest – zum Beispiel Familie, Sport oder Hobbys.
- Benachrichtigungs-Optimierung: Stelle dein Smartphone konsequent auf lautlos und unterbinde sämtliche Geräusche deiner digitalen Wegbegleiter, zum Beispiel die Ping-Töne nach dem Erhalt von Nachrichten via E-Mail, WhatsApp/Signal oder Social Media. Unterbinde in den Einstellungen Push-Benachrichtigungen und antworten nicht immer gleich, wenn du eine Kurznachricht, einen Social-Media-Like oder eine E-Mail erhältst.
- Ruhepausen: Vereinbare feste Auszeiten mit dir selbst, in denen das Smartphone und der PC vollkommen tabu sind, etwa nach Feierabend oder am Wochenende. Gehe gezielt ohne Handy aus dem Haus und übe bewussten Verzicht von digitalen Medien an zuvor definierten Orten, etwa im Schlafzimmer oder beim Abendbrot. Solche ritualisierten Verbotszonen helfen, sich nicht selbst zu betrügen.
- Achtsam bleiben: Blicke hinter die Kulissen der von dir genutzten digitalen Informationsquellen. Je besser du verstehst, was Nachrichtenangebote im Digitalen ausmacht, wer sie herstellt, was sie antreibt, welchen Zweck sie haben, desto mehr Klarheit gewinnst du darüber, wie dir das Weltgeschehen vermittelt wird. Gehe dabei kritisch vor, prüfe bei Zweifeln die Quelle.
- Digitalen Ballast entsorgen: Lösche auf deinem Smartphone und Tablet alle überflüssigen Apps, die du über kurz oder lang als Zeitfresser identifizieren konntest und die keinen echten Mehrwert in deinem Beruf oder in deinem Leben darstellen – im Regelfall sind das Social-Media-Anwendungen wie Instagram, Twitter, TikTok und Facebook, vielleicht auch YouTube. Nutze den Großteil der Anwendungen, die du benötigst, stattdessen nur noch auf deinem Desktop-PC.
Das Potenzial positiver Inhalte im Journalismus stärken
Eine weitere Möglichkeit, News Fatigue entgegenzusteuern, ist der bewusste Konsum positiver Nachrichten. Weg von herkömmlicher, problemzentrierter Berichterstattung, hin zu Inhalten, die dir ein besseres Gefühl für die Welt geben. In Debatten wird oft zwischen zwei Kategorien unterschieden: unbeschwerte Inhalte wie Katzenvideos und virale Memes sowie konstruktiver Journalismus, der hintergründig und lösungsorientiert berichtet.
„Es geht nicht um Schönfärberei, sondern um Geschichten, die inspirieren und motivieren und an dessen Entstehung die Leser*innen teilhaben“, sagt Florian Vitello, Autor des Buches „Good News: Wie wir lernen, uns gegen die Flut schlechter Nachrichten zu wehren“. Vitello ist auch Mitbegründer der Plattform „Good News Magazin”. Dort werden Rollenbilder aufgebrochen und Erfolgsnachrichten aus Themenwelten wie Gesundheit, Technik und Nachhaltigkeit präsentiert. Mit diesem Ansatz sind Vitello und sein Team seit der Gründung 2016 auf der Erfolgsspur. Auf Instagram interessieren sich mittlerweile mehr als 116.000 Follower*innen für ihre guten Nachrichten. Laut Vitello erhalten die Beiträge dort mehrere Hundertausend Aufrufe pro Monat.
Neben dem „Good News Magazin” gibt es in Deutschland immer mehr Medienangebote, die mit diesen konstruktiven Ansätzen experimentieren. Wir haben eine kleine Auswahl zusammengestellt:
- „Perspective Daily”: ein mitgliederfinanziertes Online-Magazin für konstruktiven Journalismus.
- „Squirrel News”: eine gemeinnützige Nachrichten-App, die lösungsorientierte Artikel aus internationalen Medien sammelt.
- Mit dem „Ideenimport” hat die Tagesschau-Redaktion einen Auslandspodcast für konstruktiven Journalismus gestartet.
- Das Bonn Institute setzt sich für konstruktiven Journalismus ein und bietet viele Informationen rund um das Thema.
- Auf dem TikTok-Kanal @smypathisch analysiert die Journalistin Marie Lina Smyrek die neuesten Nachrichten in satirisch-humorvoller Manier.
- Der Info-Podcast „Dreimal besser” bietet in jeder Folge drei Lösungsansätze zu einem aktuellen Thema an.
Fazit
Die Berichterstattung über Krisen und andere ernste Themen gehört zum Leben dazu. Für viele Menschen hat das aber zur Folge, dass sie Nachrichten meiden oder aber noch stärker nach solchen Inhalten suchen. Beide Extreme sind gefährlich, weil man dann entweder durch das Uninformiertsein gar nicht mehr am Diskurs teilnimmt oder die eigene Gesundheit gefährdet. Daher ist es bereits im Vorfeld ratsam, den eigenen Medienumgang zu überdenken.
Natürlich haben auch Medienhäuser eine Verantwortung, wie sie über Themen berichten. Doch mit Blick auf deinen ganz persönlichen Umgang mit Nachrichtenangeboten kannst du dir jetzt schon Bewältigungsstrategien überlegen, um besser in der Welt zurechtzukommen. Vielleicht sogar, indem du eine digitale Auszeit (Digital Detox) und mehr Achtsamkeit bei der Nachrichtenauswahl als Chancen verstehst, bisherige Verhaltensmuster zu brechen und neue, nachhaltigere zu etablieren.
Bildquellen: Adobe Stock, Milana, Bearbeitung: MvonS, Leibniz_Institut_fuer_Medienforschung_David_Ausserhofer, Levi_Weichert
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
Jüngste Forschungen zeigen, dass die psychische Gesundheit beeinträchtigt wird, je stärker man sich mit neuesten Schlagzeilen beschäftigt. Beunruhigende Nachrichten können Probleme wie Angstgefühle und emotionalen Stress entfachen oder verstärken. Jeder reagiert anders, einige Warnzeichen können sein: Die Gedanken kreisen ständig um eine bestimmte Schlagzeile und gesteigerter Puls beim Öffnen des Newsfeed oder beim Erblicken einer Benachrichtigung auf dem Display.
News Fatigue
Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder die Klimakrise — negative Berichterstattung ist allgegenwärtig und bewirkt bei vielen Menschen eine zunehmende Unlust, sich mit Nachrichten auseinanderzusetzen. Wir blicken auf das Phänomen der „News Fatigue“ und zeigen auf, wie man damit umgehen kann. Hier erfährst du neue und bessere Wege, dich weiterhin auf dem Laufenden zu halten.
Mit einem Griff in die Hosentasche zum Smartphone lässt sich das Weltgeschehen im Nu verfolgen. Gute und schlechte Nachrichten erscheinen innerhalb weniger Sekunden auf dem Touchscreen. Die Auswahl und Wege, auf denen uns Informationen erreichen können, sind riesig: Messenger-Dienste, Podcast-Plattformen, Newsletter, Abonnements von Social-Media-Kanälen, Reels und Newsfeed, Push-Meldungen oder RSS-Feed.
Auf der Suche nach Sicherheit und Beschwichtigung hüpfen Menschen gerade in Krisenzeiten von einer zur nächsten Meldung. Das Problem: Sie verbinden es vielmehr mit dem Gefühl, die Umstände nicht ändern zu können, als zu deren Lösung beizutragen. So verschafft beispielsweise die Nachrichtenlage zur Corona-Pandemie und zum Angriffskrieg gegen die Ukraine Phänomenen wie dem sogenannten Doomscrolling oder Headline Stress Disorder (auf Deutsch: Schlagzeilen-Stressstörung) neue Aufmerksamkeit. Wie kommt man davon wieder weg?
Bewusster Entzug und Verzicht sind Konsequenzen, die einige Leute für sich ziehen. Daran lassen sie andere teilhaben. Auf YouTube etwa erzählen Blogger*innen über ihre Erfahrungen darüber, Social Media, Smartphone und Co vorübergehend oder langfristig aus dem Leben zu verbannen. In den Selbstexperimenten berichten sie von einem hoffnungsvolleren Blick auf das eigene Leben, von einer stabileren Stimmungslage und vom Gefühl, weniger gestresst zu sein.
Nachrichtenmüdigkeit als Reaktion auf Überforderung
„Wir befinden uns in einem Dilemma. Oftmals sind wir von der Vielzahl an Informationen überfordert. Das kann eine kognitive Überforderung aufgrund der schieren Masse an Informationen sein, aber auch eine emotionale Überforderung, vor allem bei Themen wie Krieg und Krisen. Daher entscheiden sich manche Menschen dafür, Nachrichten zu vermeiden – zeitweise, zu einem bestimmten Thema oder komplett,“ sagt Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Das Institut ist für die deutsche Teilstudie des „Reuters Institute Digital News Report 2022“ verantwortlich.
In dieser Langzeitstudie kommen die Forscher*innen zum Schluss, dass die Deutschen nachrichtenmüde sind. Demnach hat die Vermeidung von Nachrichten in allen Altersgruppen seit 2017 zugenommen. Zudem interessieren sich laut Studie nur noch 57 Prozent der Internetnutzer*innen in Deutschland für Nachrichten. Das sind zehn Prozent weniger als im Vorjahr – laut Wunderlich der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebung 2013. Nach Redaktionsschluss hat das Institut den Report 2023 veröffentlicht. Darin heißt es, Nachrichtenmüdigkeit in Deutschland nimmt weiter zu. Der Wert liegt aktuell bei 52 Prozent.
Nachrichtenmüdigkeit ist schon lange Gegenstand der Forschung, oftmals in Form von Untersuchungen über die mentalen und psychologischen Folgen des täglichen Nachrichtenkonsums. Bereits im 19. Jahrhundert machten Neurolog*innen auf Effekte wie „nervöse Erschöpfung“ aufmerksam. In den Kommunikationswissenschaften sind auch die Motive gut erforscht, warum Menschen Nachrichteninhalte umgehen. Hier ein paar Erkenntnisse:
Gründe, warum Menschen Nachrichten aktiv vermeiden:
- Plattformisierung: Technologiekonzerne wie Google, Meta und Co bilden die Infrastruktur für unsere heutige Kommunikation. Insbesondere in sozialen Netzwerken bezieht sich der Austausch sowohl auf öffentliche als auch auf private Inhalte. Hinzu kommen kontinuierliche Updates von Informationen, die ein Gefühl der Überlastung zurücklassen, weil es scheinbar eine unendliche Anzahl von Geschichten zu jedem Thema gibt.
- Technologie, Sicherheitsfragen und negative Effekte auf die Gesundheit: Datenschutzmängel, Suchtverhalten, Verfügbarkeit und Co sind Risiken, die für einige Menschen ein Warnzeichen sind.
- Themenverdrossenheit: Wenn Medien intensiv über einen längeren Zeitraum über Themen wie das Coronavirus und den Klimawandel berichten, führt das nicht nur dazu, dass man sich rundum informiert fühlt. Es kann sich auch eine Art innerer Widerstand einstellen, etwa eine ablehnende Haltung gegenüber der Thematik oder prinzipiell gegenüber journalistisch aufbereiteten Berichten.
- Verschobene Wahrnehmung: Positive Dinge finden selten den Weg in die Nachrichten, weil negative Nachrichten ein tendenziell größeres Interesse erzeugen. Nutzer*innen verbinden derartige Berichterstattung dann mit negativen Gefühlen. Die Nachrichtenauswahl beruht also zum einen auf einer verschobenen Wahrnehmung und kann zum anderen diese auch befeuern.
- Geringes Vertrauen: Manche Menschen nehmen Medien als parteiisch wahr und glauben, dass Nachrichten prinzipiell von einer politischen oder wirtschaftlichen Agenda gesteuert werden.
- Schwach ausgeprägtes Pflichtgefühl: Wer sich weniger für Politik interessiert oder kaum staatsbürgerliche Verpflichtungen wie die Teilnahme an Wahlen wertschätzt, empfindet weniger Verlangen, informiert zu bleiben.
- Persönliche Umstände wie Arbeitsbelastung, Urlaub und die Qualität des Internetempfangs beeinflussen ebenso das persönliche Nutzungsverhalten.
Was bedeutet das für die Art, wie du mit Nachrichten-Erschöpfung effektiv umgehen kannst? Welche Schritte sind sinnvoll, wenn man sich weiterhin informieren will, ohne dabei gleich überfordert zu sein?
Was Nachrichten-Erschöpfung ist und wann sie gefährlich sein kann
Nachrichtenmüdigkeit beziehungsweise News Fatigue ist kein Dauerzustand. Es handelt sich um ein vorübergehendes Gefühl der Erschöpfung, das nach genug Pausen wieder verschwindet. Prinzipiell ist Nachrichtenmüdigkeit eine natürliche Reaktion des Körpers auf Überforderung. Sie setzt ein, wenn sich Menschen von Nachrichten gestresst fühlen und schützt vor weiteren psychischen Belastungen. Solche Nachrichten müssen nicht zwangsläufig Naturkatastrophen, Krieg oder Krankheiten sein. Auch Berichte über private Angelegenheiten von Prominenten machen nachrichtenmüde.
Problematisch kann es werden, wenn man sich Nachrichten dauerhaft und mit voller Absicht verwehrt. In solchen Situationen geht es um eine bewusste Informationsverweigerung, die für den Alltag, das Miteinander, die Gesundheit und die politische Teilhabe sogar nachteilig sein kann. Wenn du beispielsweise Pendler*in bist und dich Strecken-Updates regelrecht überfordern, stehst du vielleicht eines Morgens an einem leeren Bahnsteig, weil du dich nicht rechtzeitig über die letzte Änderung beim Bahnstreik informiert hast. Wer aber immer weniger Lust hat, sich mit dem Weltgeschehen oder seinem direkten Umfeld auseinanderzusetzen, kann auch Gefahr laufen, sich Möglichkeiten der Mitbestimmung in der Gesellschaft zu verbauen.
Wie schaffst du nun die Balance zwischen einem gut informierten Leben und dem Vermeiden von News Fatigue?„Schlechte Nachrichten gehören zu unserem Leben dazu, aber sie sollten nicht bewirken, dass man komplett die Motivation zum Umgang mit ihnen verliert“, sagt Stephan Weichert. Er ist Medienwissenschaftler und Mitbegründer des Vocer Instituts für Digitale Resilienz in Hamburg. Das Forschungsfeld digitale Resilienz nimmt Fragen in den Blick, die dabei helfen, News Fatigue entgegenzusteuern. „Das Digitale erzeugt eine vermeintliche Nähe und man fühlt sich hypervernetzt. Es entwickeln sich zurzeit ganz viele starke Abhängigkeiten von Suchtverhalten über Nachrichtenvermeidungseffekt bis hin zum News Burnout. Das bereitet uns große Sorge. Daher müssen wir noch mehr darüber nachdenken, wie wir uns vor einer Total-Überlastung schützen können“, so der Experte.
In der Grundlagenstudie „Digitale Resilienz in der Medienforschung“ haben Weichert und sein Kollege Leif Kramp unter anderem untersucht, wie man seine Resilienz in Bezug auf digitales Medienhandeln steigern kann. Der Abschlussbericht umfasst zahlreiche Handlungsempfehlungen zur Stärkung der eigenen Widerstandskraft. Hier ein gekürzter und leicht abgeänderter Auszug:
Fünf Schritte zum Stressabbau:
- Bildschirm-Kontrolle: Überdenke und kontrolliere regelmäßig deine digitale Bildschirmzeit. In den Einstellungen vieler Smartphones lässt sich leicht nachlesen, wie viel Zeit für welche App draufgeht. Stelle diese Nutzungszeiten den Tätigkeiten gegenüber, für die du beruflich oder privat gerne mehr wertvolle Zeit aufbringen würdest – zum Beispiel Familie, Sport oder Hobbys.
- Benachrichtigungs-Optimierung: Stelle dein Smartphone konsequent auf lautlos und unterbinde sämtliche Geräusche deiner digitalen Wegbegleiter, zum Beispiel die Ping-Töne nach dem Erhalt von Nachrichten via E-Mail, WhatsApp/Signal oder Social Media. Unterbinde in den Einstellungen Push-Benachrichtigungen und antworten nicht immer gleich, wenn du eine Kurznachricht, einen Social-Media-Like oder eine E-Mail erhältst.
- Ruhepausen: Vereinbare feste Auszeiten mit dir selbst, in denen das Smartphone und der PC vollkommen tabu sind, etwa nach Feierabend oder am Wochenende. Gehe gezielt ohne Handy aus dem Haus und übe bewussten Verzicht von digitalen Medien an zuvor definierten Orten, etwa im Schlafzimmer oder beim Abendbrot. Solche ritualisierten Verbotszonen helfen, sich nicht selbst zu betrügen.
- Achtsam bleiben: Blicke hinter die Kulissen der von dir genutzten digitalen Informationsquellen. Je besser du verstehst, was Nachrichtenangebote im Digitalen ausmacht, wer sie herstellt, was sie antreibt, welchen Zweck sie haben, desto mehr Klarheit gewinnst du darüber, wie dir das Weltgeschehen vermittelt wird. Gehe dabei kritisch vor, prüfe bei Zweifeln die Quelle.
- Digitalen Ballast entsorgen: Lösche auf deinem Smartphone und Tablet alle überflüssigen Apps, die du über kurz oder lang als Zeitfresser identifizieren konntest und die keinen echten Mehrwert in deinem Beruf oder in deinem Leben darstellen – im Regelfall sind das Social-Media-Anwendungen wie Instagram, Twitter, TikTok und Facebook, vielleicht auch YouTube. Nutze den Großteil der Anwendungen, die du benötigst, stattdessen nur noch auf deinem Desktop-PC.
Das Potenzial positiver Inhalte im Journalismus stärken
Eine weitere Möglichkeit, News Fatigue entgegenzusteuern, ist der bewusste Konsum positiver Nachrichten. Weg von herkömmlicher, problemzentrierter Berichterstattung, hin zu Inhalten, die dir ein besseres Gefühl für die Welt geben. In Debatten wird oft zwischen zwei Kategorien unterschieden: unbeschwerte Inhalte wie Katzenvideos und virale Memes sowie konstruktiver Journalismus, der hintergründig und lösungsorientiert berichtet.
„Es geht nicht um Schönfärberei, sondern um Geschichten, die inspirieren und motivieren und an dessen Entstehung die Leser*innen teilhaben“, sagt Florian Vitello, Autor des Buches „Good News: Wie wir lernen, uns gegen die Flut schlechter Nachrichten zu wehren“. Vitello ist auch Mitbegründer der Plattform „Good News Magazin”. Dort werden Rollenbilder aufgebrochen und Erfolgsnachrichten aus Themenwelten wie Gesundheit, Technik und Nachhaltigkeit präsentiert. Mit diesem Ansatz sind Vitello und sein Team seit der Gründung 2016 auf der Erfolgsspur. Auf Instagram interessieren sich mittlerweile mehr als 116.000 Follower*innen für ihre guten Nachrichten. Laut Vitello erhalten die Beiträge dort mehrere Hundertausend Aufrufe pro Monat.
Neben dem „Good News Magazin” gibt es in Deutschland immer mehr Medienangebote, die mit diesen konstruktiven Ansätzen experimentieren. Wir haben eine kleine Auswahl zusammengestellt:
- „Perspective Daily”: ein mitgliederfinanziertes Online-Magazin für konstruktiven Journalismus.
- „Squirrel News”: eine gemeinnützige Nachrichten-App, die lösungsorientierte Artikel aus internationalen Medien sammelt.
- Mit dem „Ideenimport” hat die Tagesschau-Redaktion einen Auslandspodcast für konstruktiven Journalismus gestartet.
- Das Bonn Institute setzt sich für konstruktiven Journalismus ein und bietet viele Informationen rund um das Thema.
- Auf dem TikTok-Kanal @smypathisch analysiert die Journalistin Marie Lina Smyrek die neuesten Nachrichten in satirisch-humorvoller Manier.
- Der Info-Podcast „Dreimal besser” bietet in jeder Folge drei Lösungsansätze zu einem aktuellen Thema an.
Fazit
Die Berichterstattung über Krisen und andere ernste Themen gehört zum Leben dazu. Für viele Menschen hat das aber zur Folge, dass sie Nachrichten meiden oder aber noch stärker nach solchen Inhalten suchen. Beide Extreme sind gefährlich, weil man dann entweder durch das Uninformiertsein gar nicht mehr am Diskurs teilnimmt oder die eigene Gesundheit gefährdet. Daher ist es bereits im Vorfeld ratsam, den eigenen Medienumgang zu überdenken.
Natürlich haben auch Medienhäuser eine Verantwortung, wie sie über Themen berichten. Doch mit Blick auf deinen ganz persönlichen Umgang mit Nachrichtenangeboten kannst du dir jetzt schon Bewältigungsstrategien überlegen, um besser in der Welt zurechtzukommen. Vielleicht sogar, indem du eine digitale Auszeit (Digital Detox) und mehr Achtsamkeit bei der Nachrichtenauswahl als Chancen verstehst, bisherige Verhaltensmuster zu brechen und neue, nachhaltigere zu etablieren.
Bildquellen: Adobe Stock, Milana, Bearbeitung: MvonS, Leibniz_Institut_fuer_Medienforschung_David_Ausserhofer, Levi_Weichert
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Latest (Top 5)
Schon gewusst?
Jüngste Forschungen zeigen, dass die psychische Gesundheit beeinträchtigt wird, je stärker man sich mit neuesten Schlagzeilen beschäftigt. Beunruhigende Nachrichten können Probleme wie Angstgefühle und emotionalen Stress entfachen oder verstärken. Jeder reagiert anders, einige Warnzeichen können sein: Die Gedanken kreisen ständig um eine bestimmte Schlagzeile und gesteigerter Puls beim Öffnen des Newsfeed oder beim Erblicken einer Benachrichtigung auf dem Display.