Bildquelle: ByteDance | Bearbeitung: MvonS

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TikTok und Fake News
Die populäre Videoplattform hat sich zu einer Suchmaschine entwickelt. Viele suchen dort nach Lifehacks und Gesundheitstipps. Eine Garantie darauf, dass diese Inhalte stets richtig und vertrauenswürdig sind, gibt es aber nicht. TikTok kämpft wie andere Plattformen mit Falschinformationen. Gerade weil TikTok immer wieder in der Kritik steht, ist es wichtig, mehr über das soziale Netzwerk zu wissen. Wie geht Desinformation dort viral? Woran lassen sich die kursierenden Fake News erkennen?
Kurze, unterhaltsame Videos mit Tanzchoreografien und Lippensynchronisation haben TikTok innerhalb kürzester Zeit zur sechstbeliebtesten Social-Media-Plattform aufsteigen lassen. Aktuell sind dort mehr als eine Milliarde monatliche Nutzer*innen aktiv, beim Spitzenreiter Facebook sind es knapp drei Milliarden. Besonders unter jungen Leuten ist TikTok populär. Umfragen zufolge wie bei Google ist TikTok für die Generation Z mittlerweile auch Anlaufstelle für Fragen, für die in der Regel die Google- Suchmaschine genutzt wird. Das betrifft etwa Restaurantempfehlungen und führt weiter zu Reisezielen, Mode-Trends und Gesundheitstipps.
Herzstück dieser Fülle an Lebenskniffen und Ratschlägen bildet #TikTokTaughtMe. Unter diesem Hashtag findet man laut Unternehmensangaben „all die Dinge, die wir von TikTok gelernt haben“. Im Podcast The Wall Street Journal Google Your News Update fängt eine TikTok-Nutzerin das Einstellung ihrer Generation dazu ein: „Warum sollte ich etwas googeln, wenn ich mir auf TikTok ein 15-Sekunden-Video ansehen kann, in dem ich alles darüber erfahre?“
Verbreiten sich Fake News auf TikTok schneller als anderswo?
Leider aber gibt es keine Garantie darauf, dass das, was Nutzer*innen auf TikTok lernen, stets richtig und vertrauenswürdig ist. Und gerade weil die Plattform immer wieder in der Kritik steht wegen möglicher Daten- und Jugendschutzverstöße, ist es wichtig, mehr über das Netzwerk zu wissen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Wahrnehmung und Verbreitung von Mis- und Desinformation. So haben beispielsweise die Medienbeobachter*innen vom Portal Newsguard im vergangenen Jahr herausgefunden, dass neue Nutzer*innen innerhalb von Minuten Desinformation über den Ukraine-Krieg angezeigt bekommen – selbst wenn sie gar nicht nach Inhalten mit Bezug zur Ukraine suchen. Das reicht von Verschwörungstheorien über Biowaffenlabor in der Ukraine bis hin zu aus dem Kontext gerissenen Feuergefechten. Die Ergebnisse sorgten für allerlei Medienecho. Der Deutschlandfunk etwa titelte Vom Popgenerator zur Propagandaschleuder. Beim Handelsblatt hieß es Fake News im Schnelldurchlauf – Tiktok wird zum gefährlichen Schauplatz des Krieges. Doch stimmt es, was Berichte wie diese nahe legen? Verbreitet sich Desinformation auf TikTok schneller als auf anderen Plattformen?
Prinzipiell ist es keine plattformspezifische Eigenart von TikTok, dass dort Falschinformationen und Propaganda zum Kriegsgeschehen in Umlauf sind – auch Instagram, YouTube und Co sind betroffen. Außerdem fehlt es an aussagekräftigen repräsentativen Vergleichsstudien, wie schnell oder langsam Fake News auf Plattformen die Runde machen. Was TikTok aber von anderen sozialen Netzwerken unterscheidet und worin seine Vorreiterrolle liegt, ist sein technologischer Vorsprung. Das Videoportal ist die Schwesterplattform von Douyin in China, beide gehören zum Unternehmen ByteDance. Unter dem Namen TikTok ging die Plattform 2018 auf den internationalen Markt und setzt bekanntlich stärker als alle anderen weltweiten Social-Media-Plattformen auf Empfehlungen bei der algorithmischen Auswahl von Inhalten.
Für Marcus Bösch, Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Herausgeber des Newsletters Understanding TikTok, liegt der Erfolg von Fake News auf diesem Videoportal in genau diesen strukturellen Vorteilen begründet. „TikTok ist eine Content-Plattform, auf der man bereits mit dem ersten Video einen viralen Hit landen kann, ohne viele Follower*innen zu haben.“ Die Plattform funktioniere nach dem Prinzip, dass Nutzer*innen nicht in aller erster Linie Accounts folgen, sondern auf der Startseite – der „For You“-Page – Videovorschläge von allerlei Creator erhalten, mit denen man nicht verbunden sein muss. Zugleich betont Bösch: „Die schnelle Verbreitung von Desinformation auf TikTok ist relativ. Medien stürzen sich gerne auf neue Dinge und warnen vor Gefahren, da sich solche Schlagzeilen besser verkaufen als die Chancen, die damit verbunden sind.“

TikTok ist eine Content-Plattform, auf der man bereits mit dem ersten Video einen viralen Hit landen kann ohne viele Follower*innen zu haben.
TikToks Kampf gegen Fake News in der Kritik
TikTok stellt in seinen Community-Richtlinien klar, dass es keine „ungenauen, irreführenden oder falschen” Inhalte gestattet, “die Individuen oder der Community erheblichen Schaden zufügen können“. Zu den Maßnahmen zählen beispielsweise die Zusammenarbeit mit Faktencheck-Initiativen vor anstehenden Wahlen, der Einsatz von Wortfiltern sowie KI zum Sperren von Inhalten, Eingriffe durch Moderator*innen und das Kenntlichmachen der Echtheit eines Profil mittels blauem Haken. Neu hinzukommen sollen Medienberichten zufolge auch KI-Warnfilter, die Creator beim Upload nutzen können.
Dennoch reißt die Kritik nicht ab. Insbesondere das Community-Management – also das konsequente Sichten und Löschen von Falschinformationen und weiterer gefährlicher Inhalte und Kommentare – irritiert. TikTok-Experte Bösch spricht in diesem Zusammenhang von einem „konstanten Katz-und-Maus-Spiel“. Die Plattform kämpfe mit dem Problem, dass gerade gelöschte Videos von anderen Accounts neu hochgeladen würden, ohne sofort von Moderator*innen und automatisierten Erkennungssystemen als schädlich enttarnt zu werden. Laut Bericht zur Durchsetzung der CommunityRichtlinien wurden im Quartal von Januar bis März 2023 weltweit geschätzte 91 Millionen Videos seitens der Plattform entfernt – eine Auflistung, um welche Videos es sich konkret handelt, gibt es nicht.
Inzwischen reagieren zahlreiche Medienschaffende und Creator mit Fachwissen auf die dortige Verbreitung von Fake News. Zu ihnen zählt das Faktencheck-Jugendprojekt BAIT @bait.faktencheck, das zu themenspezifischen Mythen und Verschwörungstheorien aufklärt. Ines Holzmüller ist Redaktionsleiterin und berichtet, dass seit dem Kanalstart Ende 2022 immer häufiger Nutzer*innen in den Kommentaren unter zweifelhaften Videos um die Überprüfung der Inhalte bitten. Sie sieht die tägliche Arbeit aber auch mit einigen Hürden konfrontiert, etwa im Hinblick auf TikToks Richtlinien. „Wir merken, dass es durch den Algorithmus schwierig ist, etwa mit Videos, die über Sexualitäts-Mythen aufklären, Reichweite zu bekommen, weil hier offenbar sehr stark gefiltert wird. Auch ein Video, das sich mit Fake News und Wahlmanipulation beschäftigte, konnten wir nicht bewerben, weil TikTok darin parteipolitische Inhalte sah.“

Wir merken, dass es durch den Algorithmus schwierig ist, etwa mit Videos, die über Sexualitäts-Mythen aufklären, Reichweite zu bekommen, weil hier offenbar sehr stark gefiltert wird.
Tipps, um Desinformation auf TikTok zu vermeiden
Bei scheinbar authentischen Videos, die einen innerlich aufrühren und zum Teilen oder Weiterverarbeiten in eigenen Videos (sogenannten Duetts und Stitches) verleiten, ist es besonders wichtig zu klären, ob es sich dabei nicht um älteres Material, verfälschte Sounds oder aus dem Kontext gerissene Szenen handelt. Hier ein paar Tipps, wie man Desinformation auf TikTok besser identifiziert:
- Innere Grundhaltung überdenken: Wer souverän mit TikTok-Inhalten umgehen möchte, sollte sich zunächst klarmachen, dass persönliche Einstellungen uns dabei beeinflussen, Personen zu vertrauen oder etwas als richtig zu empfinden. Hinterfrage also, ob du dazu neigst, den Aussagen in einem Video eher zu glauben, wenn sie sowieso deiner Meinung entsprechen. Auch in solchen Fällen braucht es einen Faktencheck.
- Kommentarspalte checken: Oftmals geben Nutzer*innen in den Kommentaren unter dem Video Hinweise, dass es sich um Fake News handelt. Aussagen wie „Videos von 2014“ oder „Schon tausendmal gehört“ signalisieren, dass es sich nicht um eine originale Audiospur handelt, sondern diese wiederverwertet wurde. Eventuell hat auch ein Faktencheck-Kanal das Video bereits als Fake oder KI-generiert entlarvt und kenntlich gemacht.
- Die Audiospur überprüfen: Tippe auf den Sound unter dem betreffenden Video. Auf diese Weise gelangst du auf das Originalvideo und kannst entlarven, ob etwa vermeintlich echte Hintergrundgeräusche einer Kriegsszene bereits in anderen Videos verwendet wurden.
- Den TikTok-Account unter die Lupe nehmen: Ob ein Video aktuell ist oder schon vor Wochen oder Monaten veröffentlicht wurde und derzeit vom Algorithmus gepusht wird, lässt sich nicht auf Anhieb bestimmen. Leider haben Videos selbst keine Zeitmarke, sodass man sich den Kontext selbst erschließen muss. Gehe auf den Account und schaue nach, ob das Video gerade erst angelegt wurde. Videos, die älter sind, erscheinen weiter unten in der Auflistung. Vielleicht handelt es auch um einen Fake-Account, der sich etwa in täuschender Weise als eine andere Person ausgibt? Sei skeptisch, wenn der Account neu ist und bewerte in solchen Fällen, ob die Videoinhalte eventuell eine Agenda verfolgen. Misstrauisch solltest du ebenso sein, wenn jemand in den Videos ständig an verschiedenen Orten auftaucht, aber keinen Reiseblog betreibt.
- Seriösen Faktencheck-Känalen folgen: Halte dich nachrichtlich auf dem Laufenden, etwa bei den Faktencheck- und Aufklärungs-Kanälen wie @tagesschau, @die_chefredaktion, @keinfakenews und @amadeuantoniostiftung
Auch außerhalb von TikTok gibt es Wege, um zu überprüfen, ob das Videomaterial echt ist. Folge journalistischen Rechercheprinzipien und suche nach mindestens einer weiteren seriösen Quelle, die den Sachverhalt im Video bestätigt. Nutze beispielsweise die Schlagwortsuche in Suchmaschinen und schaue, ob Faktencheck-Initiativen oder Zeitungen und Medienanstalten darüber berichten
Fazit
Wie jede andere Social-Media-Plattform ist TikTok daran interessiert, seine Nutzer*innen so lange wie möglich auf der Plattform zu halten. Durch den ganz speziellen TikTok-Algorithmus lassen sich blitzschnell virale Hits erzielen. Für die Verbreitung von Desinformation ist das von Vorteil, weil Fake-News-Produzent*innen nicht erst ein Netzwerk von Follower*innen errichten müssen, mit denen Reichweite generiert wird. Hinzu kommen plattformeigene Features, die ein unkritisches Konsumieren von Videos begünstigen – etwa, dass nicht sofort einsehbar ist, ob die Audiospur Original-Sounds verwendet wurden oder ob das Video neu hochgeladen wurde. Um nicht selbst versehentlich gefälschte Videos und Propaganda zu teilen oder zu glauben, ist es wichtig, sich reflektiert mit der Plattform auseinanderzusetzen.
Weiterführende Links
- BR-Faktenfuchs-Artikel „Warum sich Desinformation auf TikTok so effektiv verbreitet“
- Service-Artikel „Fünf Gründe, warum Desinformation auf TikTok besonders gut funktioniert“ von der Amadeu-Antonio-Stiftung
- Rechtlicher Ratgeber „Fake News: Wenn von der Wahrheit kein Körnchen übrig bleibt“ von anwalt.org
Bildquellen: privat, Marko Laitinen | Bildbearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
Wie tickt TikTok? Wie bei allen anderen Social-Media-Plattformen sind die Algorithmen Geschäftsgeheimnis. Der Druck aus der Zivilgesellschaft nach mehr Transparenz in Online-Netzwerken ist so groß geworden, dass deren Zugänglichkeit für Forschungszwecke mittlerweile im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act) verhandelt wird.

Bildquelle: ByteDance | Bearbeitung: MvonS
TikTok und Fake News
Die populäre Videoplattform hat sich zu einer Suchmaschine entwickelt. Viele suchen dort nach Lifehacks und Gesundheitstipps. Eine Garantie darauf, dass diese Inhalte stets richtig und vertrauenswürdig sind, gibt es aber nicht. TikTok kämpft wie andere Plattformen mit Falschinformationen. Gerade weil TikTok immer wieder in der Kritik steht, ist es wichtig, mehr über das soziale Netzwerk zu wissen. Wie geht Desinformation dort viral? Woran lassen sich die kursierenden Fake News erkennen?
Kurze, unterhaltsame Videos mit Tanzchoreografien und Lippensynchronisation haben TikTok innerhalb kürzester Zeit zur sechstbeliebtesten Social-Media-Plattform aufsteigen lassen. Aktuell sind dort mehr als eine Milliarde monatliche Nutzer*innen aktiv, beim Spitzenreiter Facebook sind es knapp drei Milliarden. Besonders unter jungen Leuten ist TikTok populär. Umfragen zufolge wie bei Google ist TikTok für die Generation Z mittlerweile auch Anlaufstelle für Fragen, für die in der Regel die Google- Suchmaschine genutzt wird. Das betrifft etwa Restaurantempfehlungen und führt weiter zu Reisezielen, Mode-Trends und Gesundheitstipps.
Herzstück dieser Fülle an Lebenskniffen und Ratschlägen bildet #TikTokTaughtMe. Unter diesem Hashtag findet man laut Unternehmensangaben „all die Dinge, die wir von TikTok gelernt haben“. Im Podcast The Wall Street Journal Google Your News Update fängt eine TikTok-Nutzerin das Einstellung ihrer Generation dazu ein: „Warum sollte ich etwas googeln, wenn ich mir auf TikTok ein 15-Sekunden-Video ansehen kann, in dem ich alles darüber erfahre?“
Verbreiten sich Fake News auf TikTok schneller als anderswo?
Leider aber gibt es keine Garantie darauf, dass das, was Nutzer*innen auf TikTok lernen, stets richtig und vertrauenswürdig ist. Und gerade weil die Plattform immer wieder in der Kritik steht wegen möglicher Daten- und Jugendschutzverstöße, ist es wichtig, mehr über das Netzwerk zu wissen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Wahrnehmung und Verbreitung von Mis- und Desinformation. So haben beispielsweise die Medienbeobachter*innen vom Portal Newsguard im vergangenen Jahr herausgefunden, dass neue Nutzer*innen innerhalb von Minuten Desinformation über den Ukraine-Krieg angezeigt bekommen – selbst wenn sie gar nicht nach Inhalten mit Bezug zur Ukraine suchen. Das reicht von Verschwörungstheorien über Biowaffenlabor in der Ukraine bis hin zu aus dem Kontext gerissenen Feuergefechten. Die Ergebnisse sorgten für allerlei Medienecho. Der Deutschlandfunk etwa titelte Vom Popgenerator zur Propagandaschleuder. Beim Handelsblatt hieß es Fake News im Schnelldurchlauf – Tiktok wird zum gefährlichen Schauplatz des Krieges. Doch stimmt es, was Berichte wie diese nahe legen? Verbreitet sich Desinformation auf TikTok schneller als auf anderen Plattformen?
Prinzipiell ist es keine plattformspezifische Eigenart von TikTok, dass dort Falschinformationen und Propaganda zum Kriegsgeschehen in Umlauf sind – auch Instagram, YouTube und Co sind betroffen. Außerdem fehlt es an aussagekräftigen repräsentativen Vergleichsstudien, wie schnell oder langsam Fake News auf Plattformen die Runde machen. Was TikTok aber von anderen sozialen Netzwerken unterscheidet und worin seine Vorreiterrolle liegt, ist sein technologischer Vorsprung. Das Videoportal ist die Schwesterplattform von Douyin in China, beide gehören zum Unternehmen ByteDance. Unter dem Namen TikTok ging die Plattform 2018 auf den internationalen Markt und setzt bekanntlich stärker als alle anderen weltweiten Social-Media-Plattformen auf Empfehlungen bei der algorithmischen Auswahl von Inhalten.
Für Marcus Bösch, Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Herausgeber des Newsletters Understanding TikTok, liegt der Erfolg von Fake News auf diesem Videoportal in genau diesen strukturellen Vorteilen begründet. „TikTok ist eine Content-Plattform, auf der man bereits mit dem ersten Video einen viralen Hit landen kann, ohne viele Follower*innen zu haben.“ Die Plattform funktioniere nach dem Prinzip, dass Nutzer*innen nicht in aller erster Linie Accounts folgen, sondern auf der Startseite – der „For You“-Page – Videovorschläge von allerlei Creator erhalten, mit denen man nicht verbunden sein muss. Zugleich betont Bösch: „Die schnelle Verbreitung von Desinformation auf TikTok ist relativ. Medien stürzen sich gerne auf neue Dinge und warnen vor Gefahren, da sich solche Schlagzeilen besser verkaufen als die Chancen, die damit verbunden sind.“

TikTok ist eine Content-Plattform, auf der man bereits mit dem ersten Video einen viralen Hit landen kann ohne viele Follower*innen zu haben.
TikToks Kampf gegen Fake News in der Kritik
TikTok stellt in seinen Community-Richtlinien klar, dass es keine „ungenauen, irreführenden oder falschen” Inhalte gestattet, “die Individuen oder der Community erheblichen Schaden zufügen können“. Zu den Maßnahmen zählen beispielsweise die Zusammenarbeit mit Faktencheck-Initiativen vor anstehenden Wahlen, der Einsatz von Wortfiltern sowie KI zum Sperren von Inhalten, Eingriffe durch Moderator*innen und das Kenntlichmachen der Echtheit eines Profil mittels blauem Haken. Neu hinzukommen sollen Medienberichten zufolge auch KI-Warnfilter, die Creator beim Upload nutzen können.
Dennoch reißt die Kritik nicht ab. Insbesondere das Community-Management – also das konsequente Sichten und Löschen von Falschinformationen und weiterer gefährlicher Inhalte und Kommentare – irritiert. TikTok-Experte Bösch spricht in diesem Zusammenhang von einem „konstanten Katz-und-Maus-Spiel“. Die Plattform kämpfe mit dem Problem, dass gerade gelöschte Videos von anderen Accounts neu hochgeladen würden, ohne sofort von Moderator*innen und automatisierten Erkennungssystemen als schädlich enttarnt zu werden. Laut Bericht zur Durchsetzung der CommunityRichtlinien wurden im Quartal von Januar bis März 2023 weltweit geschätzte 91 Millionen Videos seitens der Plattform entfernt – eine Auflistung, um welche Videos es sich konkret handelt, gibt es nicht.
Inzwischen reagieren zahlreiche Medienschaffende und Creator mit Fachwissen auf die dortige Verbreitung von Fake News. Zu ihnen zählt das Faktencheck-Jugendprojekt BAIT @bait.faktencheck, das zu themenspezifischen Mythen und Verschwörungstheorien aufklärt. Ines Holzmüller ist Redaktionsleiterin und berichtet, dass seit dem Kanalstart Ende 2022 immer häufiger Nutzer*innen in den Kommentaren unter zweifelhaften Videos um die Überprüfung der Inhalte bitten. Sie sieht die tägliche Arbeit aber auch mit einigen Hürden konfrontiert, etwa im Hinblick auf TikToks Richtlinien. „Wir merken, dass es durch den Algorithmus schwierig ist, etwa mit Videos, die über Sexualitäts-Mythen aufklären, Reichweite zu bekommen, weil hier offenbar sehr stark gefiltert wird. Auch ein Video, das sich mit Fake News und Wahlmanipulation beschäftigte, konnten wir nicht bewerben, weil TikTok darin parteipolitische Inhalte sah.“

Wir merken, dass es durch den Algorithmus schwierig ist, etwa mit Videos, die über Sexualitäts-Mythen aufklären, Reichweite zu bekommen, weil hier offenbar sehr stark gefiltert wird.
Tipps, um Desinformation auf TikTok zu vermeiden
Bei scheinbar authentischen Videos, die einen innerlich aufrühren und zum Teilen oder Weiterverarbeiten in eigenen Videos (sogenannten Duetts und Stitches) verleiten, ist es besonders wichtig zu klären, ob es sich dabei nicht um älteres Material, verfälschte Sounds oder aus dem Kontext gerissene Szenen handelt. Hier ein paar Tipps, wie man Desinformation auf TikTok besser identifiziert:
- Innere Grundhaltung überdenken: Wer souverän mit TikTok-Inhalten umgehen möchte, sollte sich zunächst klarmachen, dass persönliche Einstellungen uns dabei beeinflussen, Personen zu vertrauen oder etwas als richtig zu empfinden. Hinterfrage also, ob du dazu neigst, den Aussagen in einem Video eher zu glauben, wenn sie sowieso deiner Meinung entsprechen. Auch in solchen Fällen braucht es einen Faktencheck.
- Kommentarspalte checken: Oftmals geben Nutzer*innen in den Kommentaren unter dem Video Hinweise, dass es sich um Fake News handelt. Aussagen wie „Videos von 2014“ oder „Schon tausendmal gehört“ signalisieren, dass es sich nicht um eine originale Audiospur handelt, sondern diese wiederverwertet wurde. Eventuell hat auch ein Faktencheck-Kanal das Video bereits als Fake oder KI-generiert entlarvt und kenntlich gemacht.
- Die Audiospur überprüfen: Tippe auf den Sound unter dem betreffenden Video. Auf diese Weise gelangst du auf das Originalvideo und kannst entlarven, ob etwa vermeintlich echte Hintergrundgeräusche einer Kriegsszene bereits in anderen Videos verwendet wurden.
- Den TikTok-Account unter die Lupe nehmen: Ob ein Video aktuell ist oder schon vor Wochen oder Monaten veröffentlicht wurde und derzeit vom Algorithmus gepusht wird, lässt sich nicht auf Anhieb bestimmen. Leider haben Videos selbst keine Zeitmarke, sodass man sich den Kontext selbst erschließen muss. Gehe auf den Account und schaue nach, ob das Video gerade erst angelegt wurde. Videos, die älter sind, erscheinen weiter unten in der Auflistung. Vielleicht handelt es auch um einen Fake-Account, der sich etwa in täuschender Weise als eine andere Person ausgibt? Sei skeptisch, wenn der Account neu ist und bewerte in solchen Fällen, ob die Videoinhalte eventuell eine Agenda verfolgen. Misstrauisch solltest du ebenso sein, wenn jemand in den Videos ständig an verschiedenen Orten auftaucht, aber keinen Reiseblog betreibt.
- Seriösen Faktencheck-Känalen folgen: Halte dich nachrichtlich auf dem Laufenden, etwa bei den Faktencheck- und Aufklärungs-Kanälen wie @tagesschau, @die_chefredaktion, @keinfakenews und @amadeuantoniostiftung
Auch außerhalb von TikTok gibt es Wege, um zu überprüfen, ob das Videomaterial echt ist. Folge journalistischen Rechercheprinzipien und suche nach mindestens einer weiteren seriösen Quelle, die den Sachverhalt im Video bestätigt. Nutze beispielsweise die Schlagwortsuche in Suchmaschinen und schaue, ob Faktencheck-Initiativen oder Zeitungen und Medienanstalten darüber berichten
Fazit
Wie jede andere Social-Media-Plattform ist TikTok daran interessiert, seine Nutzer*innen so lange wie möglich auf der Plattform zu halten. Durch den ganz speziellen TikTok-Algorithmus lassen sich blitzschnell virale Hits erzielen. Für die Verbreitung von Desinformation ist das von Vorteil, weil Fake-News-Produzent*innen nicht erst ein Netzwerk von Follower*innen errichten müssen, mit denen Reichweite generiert wird. Hinzu kommen plattformeigene Features, die ein unkritisches Konsumieren von Videos begünstigen – etwa, dass nicht sofort einsehbar ist, ob die Audiospur Original-Sounds verwendet wurden oder ob das Video neu hochgeladen wurde. Um nicht selbst versehentlich gefälschte Videos und Propaganda zu teilen oder zu glauben, ist es wichtig, sich reflektiert mit der Plattform auseinanderzusetzen.
Weiterführende Links
- BR-Faktenfuchs-Artikel „Warum sich Desinformation auf TikTok so effektiv verbreitet“
- Service-Artikel „Fünf Gründe, warum Desinformation auf TikTok besonders gut funktioniert“ von der Amadeu-Antonio-Stiftung
- Rechtlicher Ratgeber „Fake News: Wenn von der Wahrheit kein Körnchen übrig bleibt“ von anwalt.org
Bildquellen: privat, Marko Laitinen | Bildbearbeitung: MvonS
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast „Digga Fake – Fake News & Fact-Checking“. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
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Schon gewusst?
Wie tickt TikTok? Wie bei allen anderen Social-Media-Plattformen sind die Algorithmen Geschäftsgeheimnis. Der Druck aus der Zivilgesellschaft nach mehr Transparenz in Online-Netzwerken ist so groß geworden, dass deren Zugänglichkeit für Forschungszwecke mittlerweile im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act) verhandelt wird.