Desinformation bei Wahlen: Diese fünf Tricks solltest du kennen
Wappne dich gegen Täuschungsmanöver im Superwahljahr
Behauptungen über Wahlbetrug oder falsche Politiker*innen-Zitate sind gängige Mittel im Wahlkampf. In den vergangenen Jahren sind Desinformationskampagnen immer ausgeklügelter geworden. Gerade in diesem Superwahljahr sollte man gegen Täuschungsmanöver gewappnet sein.
Im Mai und Juni stehen neun Kommunalwahlen an, die Wahl des Europäischen Parlaments ist ebenfalls im Juni. Im September folgen drei Landtagswahlen. 2024 ist ein Superwahljahr, nicht nur in Deutschland. Weltweit werden Menschen an Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilnehmen, zuletzt in Russland und Indonesien. Insgesamt können in 2024 so viele Menschen wie noch nie ihre Stimmen abgeben. Laut Spiegel sind das ungefähr 45 Prozent der Weltbevölkerung.
Forscher*innen und Faktenchecker*innen beobachten seit Jahren, dass es genau diese Zeiten sind, in denen auf Social Media und in Messenger-Diensten falsche Inhalte über Politiker*innen und Parteien kursieren. In einigen Fällen handelt es sich um zielgerichtete und organisierte Täuschungsabsichten, die unter dem Schlagwort Desinformationskampagnen geläufig sind.
Das momentan bekannteste Beispiel: ein Audio-Deepfake, bei dem eine gefälschte Stimme von US-Präsident Joe Biden versucht hat, Wähler*innen in New Hampshire von der Stimmabgabe abzuhalten. Wie BNN Bloomberg im Februar dieses Jahres berichtete, handelt es sich bei dem mutmaßlichen Drahtzieher um ein Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Texas, das sich auf telefonische Umfragen spezialisiert. Es werde noch geprüft, inwiefern bei dem Deepfake mit anderen Personen oder Organisationen zusammengearbeitet wurde, heißt es im Artikel.
Wahlperioden als “idealer” Zeitpunkt für Wahlbeeinflussung
Desinformationskampagnen haben es in Wahlperioden leicht. Politische Akteur*innen befinden sich quasi im Ausnahmezustand, sie wollen Wählerstimmen gewinnen. Ihre Parolen und politischen Forderungen werden mit anderen verglichen und an Handlungen bemessen. Die Medien stehen unter besonderem Druck, ihrem Informationsauftrag nachzukommen. Denn Bürger*innen erwarten in diesen Zeiten Aufklärung und Orientierung. In dieser Gemengelage wirken Fake News, Propaganda und Co wie ein Zerrspiegel, indem bestimmte Vorbehalte und Vorwürfe bestärkt oder abgeschwächt werden können.
„Das Ausmaß von Desinformationskampagnen lässt sich nur schwer abschätzen, da wir aufgrund einer Reihe von Beschränkungen, insbesondere des Datenzugangs, nur ein unvollständiges Bild davon bekommen, was vor sich geht“, sagt Cécile Simmons, Forschungsleiterin am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). „Wir wissen jedoch, dass Desinformationskampagnen mit bestimmten Ereignissen korrelieren, insbesondere mit Wahlkämpfen, die ein idealer Zeitpunkt sind, um das Wahlverhalten zu beeinflussen und demokratische Prozesse zu stören.“ Die Forschung des ISD hat derartige Kampagnen bei mehreren internationalen Wahlen dokumentiert, darunter die Bundestagswahl in Deutschland 2021, die US-Zwischenwahlen 2022 und die französischen Präsidentschaftswahlen 2022.
Desinformationskampagnen so ausgefeilt wie noch nie
Die Palette an Akteur*innen, die gezielt falsche Informationen initiieren und über mehrere Schritte hin auch in Umlauf bringen, ist so divers wie die Themen und Mittel, die eingesetzt werden. „Während vor einigen Jahren nicht authentische Verstärkungsmethoden wie Bots manchmal recht rudimentär waren, ist die technische Informationsmanipulation überzeugender und professioneller geworden. Unsere größte Sorge umfasst den Einsatz generativer Technologien, einschließlich KI“, sagt Simmons.
Mit welchen Tricks arbeiten böswillige Social-Media-Kanäle? Welche KI-Manipulationen sind schnell umzusetzen? Welche Themen werden herausgepickt und infrage gestellt? Wir werfen einen näheren Blick auf fünf Beispiele.
1. Gefaktes Lächeln mit KI-Werkzeugen einfach möglich
KI-generierte Desinformation war noch nie so leicht zu erstellen wie gegenwärtig, auch wenn einige KI-Plattformen bereits Schutzmaßnahmen erhöht haben. Kostenlose und kostenpflichtige Online-Werkzeuge wie Midjourney, Craiyon und Co machen es möglich. Fake-News-Produzent*innen müssen nicht mehr nach kompromittierenden Fotos von Politiker*innen suchen, die zur Aussage passen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis Bilder aus Prompts künstlich erstellt werden. Auch Audio- und Video-Deepfakes sind bereits einfach zu erzeugen.
KI-Manipulationen kommen aber auch ohne Prompts aus – mithilfe von KI-Editor-Apps wie Vidnoz Face Swap oder FaceApp. So lässt sich beispielsweise ein breites Lächeln in ein Gesicht montieren, wo im Original gar keines ist. Ein prominentes Beispiel, das gleichzeitig eine geschlechtsspezifische Kampagne gegen Frauen darstellt, kommt aus Indien. Dort protestierten Ringerinnen im vergangenen Jahr gegen sexuelle Belästigungen im Ringerverband. In einem Bild mit einem gefakten Lächeln wurde behauptet, dass die Ringerinnen die Proteste nicht ernst gemeint hätten und alles nur inszeniert sei. Die BBC hat darüber berichtet. Anschließend teilten rechtskonservative Politiker das falsche Bild auf Social Media und verhalfen der Kampagne zu noch mehr Aufmerksamkeit.
2. Narrative, die institutionelles Misstrauen schüren
Wenn man Bilder, Texte und Videos auf Social Media analysiert, dann betrachtet man auch die Botschaften dahinter. Die Narrative sind ein Werkzeug der Manipulation. Oft werden Erzählungen darauf ausgerichtet, vorhandene Überzeugungen zu bestätigen. Der Trick funktioniert, weil Menschen dazu neigen, Informationen zu bevorzugen, die ihre eigenen Erwartungen erfüllen (besser bekannt als Bestätigungstendenz). Wenn es um Wahlen geht, dann werden in der Regel Narrative eingesetzt, die institutionelles Misstrauen säen.
Das kann so aussehen, dass Behauptungen über Wahlbetrug oder Unstimmigkeiten im Abstimmungsprozess aufgestellt werden. So entlarvte das dpa-Faktencheck-Team im Vorfeld der Bundestagswahlen 2021 einen Facebook-Beitrag, in dem von ungültigen Briefwahlunterlagen die Rede war. Der Beitrag zeigte einen abfotografierten Stimmzettel, bei dem eine Ecke fehlte. Dabei handelte es sich aber nicht um einen ungültigen Wahlzettel, sondern um eine Orientierungshilfe für Blinde oder Menschen mit Sehbehinderung. Gängig sind auch Behauptungen über ausländische Einmischungen in nationale Wahlvorgänge. Oder es wird mit Halbwissen dazu gespielt, wer eigentlich wählen darf und wer nicht.
3. Falsche Forderungen aus Wahlprogrammen des politischen Gegners
Der Einfluss von Desinformation auf Wahlen kann auch in Form von negativen Wahlkampagnen kommen. Hier werden gegnerische Politiker*innen und Parteien verunglimpft um die eigenen Positionen zu stärken und unentschlossene Wähler*innen zu gewinnen. Im Bundestagswahlkampf 2021 enthielt eine Anzeigenkampagne falsche Behauptungen über das Wahlprogramm der Grünen. Das dokumentiert ein dpa-Faktencheck.
Negative Wahlkampagnen als Wahlkampftaktik sind seit Jahrhunderten etabliert und in vielen Fällen legal, weil die Grenzen zwischen Falschdarstellung und Verunglimpfung nicht immer scharf sind. Nutzer*innen und Algorithmen scheinen weitaus mehr Einfluss auf ein negatives Wahlkampfumfeld zu nehmen als Parteien selbst. Das legt eine internationale Studie zum EU-Wahlkampf 2019 nahe, die mehr als 8.000 Facebook-Posts von Parteien aus 12 Ländern analysierte.
„Furcht, Angst und Wut sind wesentliche Treiber, um Bedrohungen oder eine vermeintliche Benachteiligung zu konstruieren, und das zieht dann einfach mehr“, sagt Julian Hohner von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Politikwissenschaftler beobachtet, dass sich Wahlkampf durch das Internet in den vergangenen Jahren geändert hat. „Parteien kommunizieren mehr oder weniger dauerhaft, jederzeit, weil die Kosten niedrig sind und weil man Menschen auf Social Media permanent erreicht.“
4. Influencer*innen mit politischen Botschaften
Mode, Reisen, Fitness – das sind Themen, mit denen man Social-Media-Influencer*innen verbindet. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs werden Content-Creators mit mehreren tausend Follower*innen auch unter dem Aspekt der Meinungsmache unter die Lupe genommen. So machte beispielsweise eine Correctiv-Recherche auf die deutsche Alina Lipp als „Sprachrohr russischer Propaganda“ aufmerksam.
Gerade auf jüngere Nutzer*innen haben Influencer*innen große Wirkung. Sie pflegen engen Kontakt zu ihren Follower*innen, teilen Erfahrungsberichte, was sie nahbar und authentisch erscheinen lässt. Dieses Einflusspotenzial ist hilfreich, wenn es darum geht, junge Wähler*innen zu erreichen, zu denen gängige Parteien kaum durchdringen. Der MDR berichtet, dass regionale Parteiverbände längst mit lokalen Influencer*innen zusammenarbeiten. Das kann gefährlich werden, wenn Nutzer*innen nicht auffällt, dass die Grenzen zwischen Meinung und Propaganda verwischen. Jemand, der das gemacht hat und aufgeflogen ist, ist Alan dos Santos, brasilianischer Blogger und Anhänger des Präsidenten Jair Bolsonaro. Gegen Santos wird wegen der Verbreitung von Fake News und der Finanzierung antidemokratischer Handlungen ermittelt, wie die Nachrichtenagentur Merco Press berichtet.
5. Demokratiefeindlicher Content unter falscher Flagge
Aktionen unter falscher Flagge sind bekannt aus Piratenfilmen, in denen die Seeräuber*innen die Flagge einer geachteten Nation hissen, um Handelsschiffe zu täuschen. In der Kriegstaktik haben diese Aktionen auch eine lange Tradition, weil damit Angriffskriege gerechtfertigt werden können. Der ausgeklügelte Täuschungsmoment macht False-Flag-Aktionen daher zu einem idealen Werkzeug für Fake News. So kann beispielsweise das Design von seriösen Medienseiten kopiert und unter deren Namen böswilliger Content verbreitet werden, um Vertrauen zu erschleichen. In einem Bericht der Deutschen Welle wird diesem Phänomen im Ukraine-Krieg auf den Grund gegangen.
Verschwörungstheorien unter falscher Flagge sind auch nach einer tödlichen Schießerei im australischen Bundesstaat Queensland kurz vor Weihnachten 2022 beobachtet worden, wie in einem Guardian-Beitrag nachzulesen ist. Wer auf Social Media unterwegs ist, sollte die Augen offen halten, ob Kanäle im Vorfeld der Wahlen plötzlich von lustigem zu politischem Content wechseln. Möglich ist auch, dass sich Seiten mit demokratiefeindlichen Ideen als demokratiefreundliche ausgeben.
Fazit
Es wäre naiv zu sagen, dass sich Nutzer*innen nicht bewusst sind, dass Desinformationskampagnen eingesetzt werden. Allerdings ist es schwer, das gesamte Ausmaß der Wahlbeeinflussung zu erfassen, weil Manipulation nicht nur im Gewand von bewusst gestreuten Falschinformationen daherkommt. Populistische Parolen, Cherry-Picking und Hassbotschaften, die als Satire getarnt sind, zählen auch dazu. Wichtig ist, Beiträge einer Quellenprüfung zu unterziehen und nicht sofort den Teilen-Button zu drücken.
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
False-Flag-Taktik ist verbreitet in Kriegsführung und Piraterie. Sie dient beispielsweise dazu, Menschen auf eine falsche Fährte zu locken und Gegner*innen zu diskreditieren. Bekanntes Beispiel sind gefälschte Nachrichtenseiten von etablierten Medienhäusern.
Desinformation bei Wahlen: Diese fünf Tricks solltest du kennen
Wappne dich gegen Täuschungsmanöver im Superwahljahr
Behauptungen über Wahlbetrug oder falsche Politiker*innen-Zitate sind gängige Mittel im Wahlkampf. In den vergangenen Jahren sind Desinformationskampagnen immer ausgeklügelter geworden. Gerade in diesem Superwahljahr sollte man gegen Täuschungsmanöver gewappnet sein.
Im Mai und Juni stehen neun Kommunalwahlen an, die Wahl des Europäischen Parlaments ist ebenfalls im Juni. Im September folgen drei Landtagswahlen. 2024 ist ein Superwahljahr, nicht nur in Deutschland. Weltweit werden Menschen an Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilnehmen, zuletzt in Russland und Indonesien. Insgesamt können in 2024 so viele Menschen wie noch nie ihre Stimmen abgeben. Laut Spiegel sind das ungefähr 45 Prozent der Weltbevölkerung.
Forscher*innen und Faktenchecker*innen beobachten seit Jahren, dass es genau diese Zeiten sind, in denen auf Social Media und in Messenger-Diensten falsche Inhalte über Politiker*innen und Parteien kursieren. In einigen Fällen handelt es sich um zielgerichtete und organisierte Täuschungsabsichten, die unter dem Schlagwort Desinformationskampagnen geläufig sind.
Das momentan bekannteste Beispiel: ein Audio-Deepfake, bei dem eine gefälschte Stimme von US-Präsident Joe Biden versucht hat, Wähler*innen in New Hampshire von der Stimmabgabe abzuhalten. Wie BNN Bloomberg im Februar dieses Jahres berichtete, handelt es sich bei dem mutmaßlichen Drahtzieher um ein Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Texas, das sich auf telefonische Umfragen spezialisiert. Es werde noch geprüft, inwiefern bei dem Deepfake mit anderen Personen oder Organisationen zusammengearbeitet wurde, heißt es im Artikel.
Wahlperioden als “idealer” Zeitpunkt für Wahlbeeinflussung
Desinformationskampagnen haben es in Wahlperioden leicht. Politische Akteur*innen befinden sich quasi im Ausnahmezustand, sie wollen Wählerstimmen gewinnen. Ihre Parolen und politischen Forderungen werden mit anderen verglichen und an Handlungen bemessen. Die Medien stehen unter besonderem Druck, ihrem Informationsauftrag nachzukommen. Denn Bürger*innen erwarten in diesen Zeiten Aufklärung und Orientierung. In dieser Gemengelage wirken Fake News, Propaganda und Co wie ein Zerrspiegel, indem bestimmte Vorbehalte und Vorwürfe bestärkt oder abgeschwächt werden können.
„Das Ausmaß von Desinformationskampagnen lässt sich nur schwer abschätzen, da wir aufgrund einer Reihe von Beschränkungen, insbesondere des Datenzugangs, nur ein unvollständiges Bild davon bekommen, was vor sich geht“, sagt Cécile Simmons, Forschungsleiterin am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). „Wir wissen jedoch, dass Desinformationskampagnen mit bestimmten Ereignissen korrelieren, insbesondere mit Wahlkämpfen, die ein idealer Zeitpunkt sind, um das Wahlverhalten zu beeinflussen und demokratische Prozesse zu stören.“ Die Forschung des ISD hat derartige Kampagnen bei mehreren internationalen Wahlen dokumentiert, darunter die Bundestagswahl in Deutschland 2021, die US-Zwischenwahlen 2022 und die französischen Präsidentschaftswahlen 2022.
Desinformationskampagnen so ausgefeilt wie noch nie
Die Palette an Akteur*innen, die gezielt falsche Informationen initiieren und über mehrere Schritte hin auch in Umlauf bringen, ist so divers wie die Themen und Mittel, die eingesetzt werden. „Während vor einigen Jahren nicht authentische Verstärkungsmethoden wie Bots manchmal recht rudimentär waren, ist die technische Informationsmanipulation überzeugender und professioneller geworden. Unsere größte Sorge umfasst den Einsatz generativer Technologien, einschließlich KI“, sagt Simmons.
Mit welchen Tricks arbeiten böswillige Social-Media-Kanäle? Welche KI-Manipulationen sind schnell umzusetzen? Welche Themen werden herausgepickt und infrage gestellt? Wir werfen einen näheren Blick auf fünf Beispiele.
1. Gefaktes Lächeln mit KI-Werkzeugen einfach möglich
KI-generierte Desinformation war noch nie so leicht zu erstellen wie gegenwärtig, auch wenn einige KI-Plattformen bereits Schutzmaßnahmen erhöht haben. Kostenlose und kostenpflichtige Online-Werkzeuge wie Midjourney, Craiyon und Co machen es möglich. Fake-News-Produzent*innen müssen nicht mehr nach kompromittierenden Fotos von Politiker*innen suchen, die zur Aussage passen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis Bilder aus Prompts künstlich erstellt werden. Auch Audio- und Video-Deepfakes sind bereits einfach zu erzeugen.
KI-Manipulationen kommen aber auch ohne Prompts aus – mithilfe von KI-Editor-Apps wie Vidnoz Face Swap oder FaceApp. So lässt sich beispielsweise ein breites Lächeln in ein Gesicht montieren, wo im Original gar keines ist. Ein prominentes Beispiel, das gleichzeitig eine geschlechtsspezifische Kampagne gegen Frauen darstellt, kommt aus Indien. Dort protestierten Ringerinnen im vergangenen Jahr gegen sexuelle Belästigungen im Ringerverband. In einem Bild mit einem gefakten Lächeln wurde behauptet, dass die Ringerinnen die Proteste nicht ernst gemeint hätten und alles nur inszeniert sei. Die BBC hat darüber berichtet. Anschließend teilten rechtskonservative Politiker das falsche Bild auf Social Media und verhalfen der Kampagne zu noch mehr Aufmerksamkeit.
2. Narrative, die institutionelles Misstrauen schüren
Wenn man Bilder, Texte und Videos auf Social Media analysiert, dann betrachtet man auch die Botschaften dahinter. Die Narrative sind ein Werkzeug der Manipulation. Oft werden Erzählungen darauf ausgerichtet, vorhandene Überzeugungen zu bestätigen. Der Trick funktioniert, weil Menschen dazu neigen, Informationen zu bevorzugen, die ihre eigenen Erwartungen erfüllen (besser bekannt als Bestätigungstendenz). Wenn es um Wahlen geht, dann werden in der Regel Narrative eingesetzt, die institutionelles Misstrauen säen.
Das kann so aussehen, dass Behauptungen über Wahlbetrug oder Unstimmigkeiten im Abstimmungsprozess aufgestellt werden. So entlarvte das dpa-Faktencheck-Team im Vorfeld der Bundestagswahlen 2021 einen Facebook-Beitrag, in dem von ungültigen Briefwahlunterlagen die Rede war. Der Beitrag zeigte einen abfotografierten Stimmzettel, bei dem eine Ecke fehlte. Dabei handelte es sich aber nicht um einen ungültigen Wahlzettel, sondern um eine Orientierungshilfe für Blinde oder Menschen mit Sehbehinderung. Gängig sind auch Behauptungen über ausländische Einmischungen in nationale Wahlvorgänge. Oder es wird mit Halbwissen dazu gespielt, wer eigentlich wählen darf und wer nicht.
3. Falsche Forderungen aus Wahlprogrammen des politischen Gegners
Der Einfluss von Desinformation auf Wahlen kann auch in Form von negativen Wahlkampagnen kommen. Hier werden gegnerische Politiker*innen und Parteien verunglimpft um die eigenen Positionen zu stärken und unentschlossene Wähler*innen zu gewinnen. Im Bundestagswahlkampf 2021 enthielt eine Anzeigenkampagne falsche Behauptungen über das Wahlprogramm der Grünen. Das dokumentiert ein dpa-Faktencheck.
Negative Wahlkampagnen als Wahlkampftaktik sind seit Jahrhunderten etabliert und in vielen Fällen legal, weil die Grenzen zwischen Falschdarstellung und Verunglimpfung nicht immer scharf sind. Nutzer*innen und Algorithmen scheinen weitaus mehr Einfluss auf ein negatives Wahlkampfumfeld zu nehmen als Parteien selbst. Das legt eine internationale Studie zum EU-Wahlkampf 2019 nahe, die mehr als 8.000 Facebook-Posts von Parteien aus 12 Ländern analysierte.
„Furcht, Angst und Wut sind wesentliche Treiber, um Bedrohungen oder eine vermeintliche Benachteiligung zu konstruieren, und das zieht dann einfach mehr“, sagt Julian Hohner von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Politikwissenschaftler beobachtet, dass sich Wahlkampf durch das Internet in den vergangenen Jahren geändert hat. „Parteien kommunizieren mehr oder weniger dauerhaft, jederzeit, weil die Kosten niedrig sind und weil man Menschen auf Social Media permanent erreicht.“
4. Influencer*innen mit politischen Botschaften
Mode, Reisen, Fitness – das sind Themen, mit denen man Social-Media-Influencer*innen verbindet. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs werden Content-Creators mit mehreren tausend Follower*innen auch unter dem Aspekt der Meinungsmache unter die Lupe genommen. So machte beispielsweise eine Correctiv-Recherche auf die deutsche Alina Lipp als „Sprachrohr russischer Propaganda“ aufmerksam.
Gerade auf jüngere Nutzer*innen haben Influencer*innen große Wirkung. Sie pflegen engen Kontakt zu ihren Follower*innen, teilen Erfahrungsberichte, was sie nahbar und authentisch erscheinen lässt. Dieses Einflusspotenzial ist hilfreich, wenn es darum geht, junge Wähler*innen zu erreichen, zu denen gängige Parteien kaum durchdringen. Der MDR berichtet, dass regionale Parteiverbände längst mit lokalen Influencer*innen zusammenarbeiten. Das kann gefährlich werden, wenn Nutzer*innen nicht auffällt, dass die Grenzen zwischen Meinung und Propaganda verwischen. Jemand, der das gemacht hat und aufgeflogen ist, ist Alan dos Santos, brasilianischer Blogger und Anhänger des Präsidenten Jair Bolsonaro. Gegen Santos wird wegen der Verbreitung von Fake News und der Finanzierung antidemokratischer Handlungen ermittelt, wie die Nachrichtenagentur Merco Press berichtet.
5. Demokratiefeindlicher Content unter falscher Flagge
Aktionen unter falscher Flagge sind bekannt aus Piratenfilmen, in denen die Seeräuber*innen die Flagge einer geachteten Nation hissen, um Handelsschiffe zu täuschen. In der Kriegstaktik haben diese Aktionen auch eine lange Tradition, weil damit Angriffskriege gerechtfertigt werden können. Der ausgeklügelte Täuschungsmoment macht False-Flag-Aktionen daher zu einem idealen Werkzeug für Fake News. So kann beispielsweise das Design von seriösen Medienseiten kopiert und unter deren Namen böswilliger Content verbreitet werden, um Vertrauen zu erschleichen. In einem Bericht der Deutschen Welle wird diesem Phänomen im Ukraine-Krieg auf den Grund gegangen.
Verschwörungstheorien unter falscher Flagge sind auch nach einer tödlichen Schießerei im australischen Bundesstaat Queensland kurz vor Weihnachten 2022 beobachtet worden, wie in einem Guardian-Beitrag nachzulesen ist. Wer auf Social Media unterwegs ist, sollte die Augen offen halten, ob Kanäle im Vorfeld der Wahlen plötzlich von lustigem zu politischem Content wechseln. Möglich ist auch, dass sich Seiten mit demokratiefeindlichen Ideen als demokratiefreundliche ausgeben.
Fazit
Es wäre naiv zu sagen, dass sich Nutzer*innen nicht bewusst sind, dass Desinformationskampagnen eingesetzt werden. Allerdings ist es schwer, das gesamte Ausmaß der Wahlbeeinflussung zu erfassen, weil Manipulation nicht nur im Gewand von bewusst gestreuten Falschinformationen daherkommt. Populistische Parolen, Cherry-Picking und Hassbotschaften, die als Satire getarnt sind, zählen auch dazu. Wichtig ist, Beiträge einer Quellenprüfung zu unterziehen und nicht sofort den Teilen-Button zu drücken.
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin, unter anderem für die Freie Presse und das RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
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