„Die da oben“ – Wie Populismus funktioniert
Populistische Manöver erkennen
Wer politisch viel Reichweite erzielen will, greift gerne auf populistischen Sprech zurück. Das ist ein Erfolgsrezept, das mittlerweile jede Partei ausprobiert. Gefährlich wird es dann, wenn Politiker*innen auf subtile Weise zu Ausgrenzung und Misstrauen anstacheln. Welche rhetorischen Tricks gibt es und wie verschlimmern sie unsere Debattenkultur?
Was den Vorstoß einzelner Parteien angeht, hat die AfD Anfang dieses Jahres für Aufsehen gesorgt, weil sie auf der einflussreichen Social-Media-Plattform TikTok vor allen anderen liegt. Obwohl die AfD nur die fünftstärkste Fraktion im Bundestag ist, erreicht sie auf TikTok fast eine halbe Million Follower*innen. Viel mehr also als die SPD als stärkste Bundestagsfraktion, die dort lediglich auf 130.000 Follower*innen kommt. Für den Wahlkampf zu den diesjährigen Europawahlen war so viel Reichweite für die AfD von Vorteil. Wie groß der Einfluss auf Wahlentscheidungen tatsächlich war, lässt sich allerdings schwer ermitteln.
Mit dem TikTok-Erfolg der AfD sind viele hochrangige Politiker*innen auf Social Media nachgezogen. Beispielsweise eröffneten in diesem Frühjahr SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann TikTok-Accounts. Die Aufmerksamkeitsregeln der Sozialen Netzwerke fordern auch von ihnen ein, Themen und Botschaften auf den Punkt zu bringen. Wer komplexe Inhalte vereinfacht, Emotionen weckt und Nähe aufbaut, erzielt tendenziell eine größere Reichweite.
Populismus als Erfolgsfaktor auf Sozialen Medien
„Politikerinnen und Politiker sind der Aufmerksamkeitsökonomie der Öffentlichkeit und insbesondere den aufmerksamkeitsmaximierenden Mechanismen der Sozialen Medien unterworfen“, sagt David Lanius, Philosoph und Mitbegründer des Forums für Streitkultur. Er hat beobachtet, dass auch Redebeiträge im Bundestag zunehmend von einem Social-Media-Kalkül angetrieben werden: „Dann zählen weniger die Argumente im Sachkontext einer Bundestagsdebatte als vielmehr die rhetorische Wirkung, die erzielt werden kann, wenn hinterher Auszüge aufmerksamkeitswirksam und zum Teil inhaltsverzerrend über die Sozialen Medien ausgespielt werden.“
Manchmal fällt der Ton dabei populistisch aus – nämlich dann, wenn Redner*innen die Ängste der Menschen zuspitzen und demokratisch gewählten Gegner*innen die Legitimität absprechen. Zu hören ist das beispielsweise bei Hubert Aiwanger von den Freien Wählern zur Heizungsdebatte und bei FDP-Finanzminister Christian Lindner zu den Bauernprotesten. Gerade vor dem Hintergrund der viel diskutierten, verrohten Debattenkultur ist es wichtig, sich mit populistischer Rhetorik näher zu beschäftigen.
Was macht Populismus aus?
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Populismus an und für sich der Demokratie nicht hinderlich ist und sich an keine politische Richtung bindet. In Debatten dient der Begriff allerdings gerne als Schimpfwort für die Gegenseite, wenn deren Argumente als unbequem oder zu kurz gedacht erscheinen und nicht überzeugen. Es kommt auch vor, dass der Begriff mit rechten Tendenzen verbunden wird.
Aus wissenschaftlicher Sicht beschreibt Populismus im Kern einen Politikstil, der die Bevölkerung in zwei vermeintliche Gruppen aufteilt: das „Volk“ (beziehungsweise „Wir“) und die „Elite“ (beziehungsweise „Die da oben“ oder das „Establishment“). Populist*innen behaupten, dass nur sie die Interessen des Volkes gegen die moralisch verwerflichen Eliten vertreten können und nur sie wissen, was gut und richtig ist. Gerade auf Menschen, die beispielsweise mit dem bestehenden politischen Kurs der Bundesregierung unzufrieden sind, kann so eine Vorstellung von Politik befreiend wirken.
Die demokratiefördernde Kraft von Populismus liegt darin, Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und Themen anzusprechen, die von anderen Parteien vernachlässigt werden. „Populismus ist ein legitimes Mittel, um Menschen wieder zu reizen, sich gesellschaftlich zu beteiligen. Von manchen wird er als Strategie zur Erneuerung der Demokratie angesehen, indem verschiedene gesellschaftliche Gruppen mobilisiert werden –um gemeinsam zu entdecken, dass sie andere Interessen als die herrschenden Institutionen haben, und dass wirtschaftliche Benachteiligung oder soziale Probleme geltend gemacht werden müssen“, sagt Benjamin Krämer, Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Populismus teils auch solche Erwartungen weckt, die nicht erfüllt werden können. Außerdem sei es ein Problem, merkt Krämer an, wenn Populist*innen einen Volkswillen herbeireden und auf Sorgen verweisen, die reine Erfindung sind beziehungsweise nicht der Faktenlage entsprechen. Das alles könne letztlich zu weiterer Enttäuschung und Politikverdrossenheit führen.
Populismus ist besonders dann problematisch, wenn Politiker*innen ihn nutzen, um aufzuhetzen und Menschen auszugrenzen. Denn damit verkennen sie, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. „Wenn angeblich von vornherein klar ist, was das Volk will und welche Minderheiten aussortiert werden sollen, bis nur noch solche bestehen, die ins Schema passen, dann trägt das langfristig zu einer Polarisierung und Destabilisierung unseres politischen Systems bei“, sagt Krämer. Zugleich kann Populismus ein Ablenkungsmanöver sein. Gerade Medien springen auf bewusst empörende Aussagen von Populist*innen an und helfen ihnen dadurch, wichtige Themen aus dem Diskurs zu drängen.
Die Tricks der populistischen Rhetorik
Um Menschen eine Politik schmackhaft zu machen, die im Grunde nur Ausgrenzung und Spaltung verfolgt, wird mit manipulativen Techniken gearbeitet. Doch zu schlussfolgern, dass jede Person, die sich einer populistischen Rhetorik bedient, auch gleichzeitig Populist*in ist, wäre ein Trugschluss. Einige Politiker*innen ziehen populistischen Sprech in Betracht, um beruflich erfolgreicher zu sein.
Vor populistischen Inhalten und Redeweisen können wir uns also nicht abschotten. Doch wir sollten selbst dafür sorgen, reflektierter zu reagieren und sie beispielsweise nicht unbedacht weiterzuverbreiten. Hier sind ein paar Indizien, an denen man populistische Parolen erkennt.
1. Verzicht auf Sachlichkeit
Populistischer Redestil lehnt Sachlichkeit und konstruktive Lösungsfindung ab. Eine Ausnahme gibt es: Manchmal werden wissenschaftliche Fakten verdreht oder es wird sich auf eine Wissenschaft gestützt, die gar keine ist (etwa Pseudowissenschaften). Beides dient dem Zweck, Emotionen zu wecken, zu provozieren, abzulenken und Gegner*innen zu diskreditieren.
Populist*innen schöpfen aus einem umfangreichen Repertoire an manipulativen Tricks der Rhetorik. Dazu zählt etwa das Ad Hominem: ein Scheinargument, bei dem gezielt eine Person angegriffen wird anstatt der Kern ihres Arguments. Beliebt ist auch die sogenannte Rosinenpickerei: Dabei werden Informationen bewusst so ausgewählt und aus dem Kontext gerissen, dass sie die eigene Position stützen. Eine Übersicht zu diesen Manipulationstechniken liefert die US-Aufklärungsplattform Sceptical Science. Hier werden mehr als 30 Beispiele aufgelistet, die auch von Wissenschaftsleugner*innen eingesetzt werden.
2. Konfrontative Auseinandersetzung und Feindbilder
Gesellschaftliche und politische Probleme sind komplex und bestehen aus verschiedenen Ursache-Wirkung-Effekten und Widersprüchen. In populistischen Positionen werden diese Gegebenheiten aber bewusst verschwiegen und stattdessen – der Einfachheit halber – mit Schwarz-Weiß-Denken, Pauschalisierungen, Freund-Feind-Bildern und „Wir-gegen-die-anderen“-Parolen überlagert.
Wenn Zweifel besteht, ob eine Aussage populistisch ist, sollte man sich fragen: Beruft sich der oder die Sprecher*in auf eine schweigende Mehrheit, deren Interessen es zu verteidigen beziehungsweise zu befürworten gilt? Fallen Schlagwörter wie Volkswille, Gemeinwohl oder (Anti-)Elite? Wird von einer vermeintlichen Diktatur gesprochen, in der man sich befindet? Werden nur zwei Gruppen gegenübergestellt: Wir, die Problemlöser, versus die Anderen, die Problemverursacher? Wenn die Antwort auf diese Fragen “ja” lautet, handelt es sich um Populismus.
3. Mehrdeutigkeit als Mittel zur Provokation
Wer populistisch argumentiert, scheut nicht vor Tabubrüchen und Provokationen zurück. Dafür wird gerne auf Mehrdeutigkeit zurückgegriffen, denn sie kann die Verantwortung für das Gesagte wunderbar verschleiern. Wer etwas anderes meint, als er wörtlich gesagt hat, kann auf diese Weise Wähler*innen mit unterschiedlichen Interessen für sich gewinnen und sich besonders volksnah darstellen. Das verläuft nach dem Prinzip: Jeder versteht das, was er oder sie verstehen will. Diese Strategie heißt in der Fachsprache kalkulierte Ambivalenz.
Ein Beispiel liefert CDU-Politiker Friedrich Merz, der im Herbst 2022 behauptete, ukrainische Flüchtlinge begingen Sozialtourismus. Das Wort erhielt 2013 bereits den Titel „Unwort des Jahres“, weil die Jury fand, es mache Stimmung gegen Flüchtlinge. Nach viel Kritik ruderte Merz zurück und entschuldigte sich. Er wolle lediglich darauf hinweisen, „dass wir zunehmende Probleme haben mit der Unterbringung und auch mit der Betreuung von Flüchtlingen und dazu Probleme bekommen mit einer größer werdenden Zahl von Asylbewerbern“, sagte er bei einem Presseauftritt.
4. Betonung von Trendthemen
Wie bei Fake News werden besonders solche Themen herangezogen, die viele Menschen betreffen. Zu den Klassikern zählen Zuwanderung, Corona-Politik sowie offene Wirtschaftsmärkte. Immer häufiger werden auch Konsumentscheidungen thematisiert, die Einfluss auf den Lebensstil im Alltag haben. Es geht beispielsweise um Autofahren und Heizen, aber auch um gleichgeschlechtliche Ehe und Kindererziehung. „Diese Themen werden nicht mehr einfach so behandelt, um über Lösungsansätze für unsere Probleme zu sprechen. Sie werden für einen Kulturkampf herbeigezogen, ganz nach dem Motto: „Die da oben wollen uns vorschreiben, wie wir zu leben haben“, sagt Krämer.
Fazit
Bei populistischen Beiträgen in den Sozialen Medien handelt es sich oftmals um verdeckte Einflussnahme, die sich Nutzer*innen erst durch das Zusammentragen mehrerer Indizien erschließt. Um das zu erkennen, bedarf es Zeit, Geduld und eigentlich auch einer verstärkten Auseinandersetzung mit Logik und Argumentation. Gerade auf den schnelllebigen Social-Media-Plattformen scheint diese Aufgabe lästig. Sie ist aber zwingend erforderlich, um den Problemen unserer Zeit konstruktiv zu begegnen.
Weiterführende Links:
- MaiThinkX – Die Show „Wie populistische Politiker uns verarschen“ vom 18. Februar 2024
- MDR-Video-Beitrag „Was Populismus und Medien gemeinsam haben“ vom 21. Juli 2022
- Blog-Beitrag „Wie argumentieren Rechtspopulisten“ auf der Website des Forums für Streitkultur vom 6. September 2017
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin unter anderem für die Freie Presse und das RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Schon gewusst?
Wer populistisch argumentiert, scheut nicht vor Tabubrüchen und Provokationen zurück. Dafür wird auch auf Mehrdeutigkeit zurückgegriffen, um die Verantwortung für das Gesagte zu verschleiern. Diese Strategie heißt in der Fachsprache kalkulierte Ambivalenz.
„Die da oben“ – Wie Populismus funktioniert
Populistische Manöver erkennen
Wer politisch viel Reichweite erzielen will, greift gerne auf populistischen Sprech zurück. Das ist ein Erfolgsrezept, das mittlerweile jede Partei ausprobiert. Gefährlich wird es dann, wenn Politiker*innen auf subtile Weise zu Ausgrenzung und Misstrauen anstacheln. Welche rhetorischen Tricks gibt es und wie verschlimmern sie unsere Debattenkultur?
Was den Vorstoß einzelner Parteien angeht, hat die AfD Anfang dieses Jahres für Aufsehen gesorgt, weil sie auf der einflussreichen Social-Media-Plattform TikTok vor allen anderen liegt. Obwohl die AfD nur die fünftstärkste Fraktion im Bundestag ist, erreicht sie auf TikTok fast eine halbe Million Follower*innen. Viel mehr also als die SPD als stärkste Bundestagsfraktion, die dort lediglich auf 130.000 Follower*innen kommt. Für den Wahlkampf zu den diesjährigen Europawahlen war so viel Reichweite für die AfD von Vorteil. Wie groß der Einfluss auf Wahlentscheidungen tatsächlich war, lässt sich allerdings schwer ermitteln.
Mit dem TikTok-Erfolg der AfD sind viele hochrangige Politiker*innen auf Social Media nachgezogen. Beispielsweise eröffneten in diesem Frühjahr SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann TikTok-Accounts. Die Aufmerksamkeitsregeln der Sozialen Netzwerke fordern auch von ihnen ein, Themen und Botschaften auf den Punkt zu bringen. Wer komplexe Inhalte vereinfacht, Emotionen weckt und Nähe aufbaut, erzielt tendenziell eine größere Reichweite.
Populismus als Erfolgsfaktor auf Sozialen Medien
„Politikerinnen und Politiker sind der Aufmerksamkeitsökonomie der Öffentlichkeit und insbesondere den aufmerksamkeitsmaximierenden Mechanismen der Sozialen Medien unterworfen“, sagt David Lanius, Philosoph und Mitbegründer des Forums für Streitkultur. Er hat beobachtet, dass auch Redebeiträge im Bundestag zunehmend von einem Social-Media-Kalkül angetrieben werden: „Dann zählen weniger die Argumente im Sachkontext einer Bundestagsdebatte als vielmehr die rhetorische Wirkung, die erzielt werden kann, wenn hinterher Auszüge aufmerksamkeitswirksam und zum Teil inhaltsverzerrend über die Sozialen Medien ausgespielt werden.“
Manchmal fällt der Ton dabei populistisch aus – nämlich dann, wenn Redner*innen die Ängste der Menschen zuspitzen und demokratisch gewählten Gegner*innen die Legitimität absprechen. Zu hören ist das beispielsweise bei Hubert Aiwanger von den Freien Wählern zur Heizungsdebatte und bei FDP-Finanzminister Christian Lindner zu den Bauernprotesten. Gerade vor dem Hintergrund der viel diskutierten, verrohten Debattenkultur ist es wichtig, sich mit populistischer Rhetorik näher zu beschäftigen.
Was macht Populismus aus?
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Populismus an und für sich der Demokratie nicht hinderlich ist und sich an keine politische Richtung bindet. In Debatten dient der Begriff allerdings gerne als Schimpfwort für die Gegenseite, wenn deren Argumente als unbequem oder zu kurz gedacht erscheinen und nicht überzeugen. Es kommt auch vor, dass der Begriff mit rechten Tendenzen verbunden wird.
Aus wissenschaftlicher Sicht beschreibt Populismus im Kern einen Politikstil, der die Bevölkerung in zwei vermeintliche Gruppen aufteilt: das „Volk“ (beziehungsweise „Wir“) und die „Elite“ (beziehungsweise „Die da oben“ oder das „Establishment“). Populist*innen behaupten, dass nur sie die Interessen des Volkes gegen die moralisch verwerflichen Eliten vertreten können und nur sie wissen, was gut und richtig ist. Gerade auf Menschen, die beispielsweise mit dem bestehenden politischen Kurs der Bundesregierung unzufrieden sind, kann so eine Vorstellung von Politik befreiend wirken.
Die demokratiefördernde Kraft von Populismus liegt darin, Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und Themen anzusprechen, die von anderen Parteien vernachlässigt werden. „Populismus ist ein legitimes Mittel, um Menschen wieder zu reizen, sich gesellschaftlich zu beteiligen. Von manchen wird er als Strategie zur Erneuerung der Demokratie angesehen, indem verschiedene gesellschaftliche Gruppen mobilisiert werden –um gemeinsam zu entdecken, dass sie andere Interessen als die herrschenden Institutionen haben, und dass wirtschaftliche Benachteiligung oder soziale Probleme geltend gemacht werden müssen“, sagt Benjamin Krämer, Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Populismus teils auch solche Erwartungen weckt, die nicht erfüllt werden können. Außerdem sei es ein Problem, merkt Krämer an, wenn Populist*innen einen Volkswillen herbeireden und auf Sorgen verweisen, die reine Erfindung sind beziehungsweise nicht der Faktenlage entsprechen. Das alles könne letztlich zu weiterer Enttäuschung und Politikverdrossenheit führen.
Populismus ist besonders dann problematisch, wenn Politiker*innen ihn nutzen, um aufzuhetzen und Menschen auszugrenzen. Denn damit verkennen sie, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. „Wenn angeblich von vornherein klar ist, was das Volk will und welche Minderheiten aussortiert werden sollen, bis nur noch solche bestehen, die ins Schema passen, dann trägt das langfristig zu einer Polarisierung und Destabilisierung unseres politischen Systems bei“, sagt Krämer. Zugleich kann Populismus ein Ablenkungsmanöver sein. Gerade Medien springen auf bewusst empörende Aussagen von Populist*innen an und helfen ihnen dadurch, wichtige Themen aus dem Diskurs zu drängen.
Die Tricks der populistischen Rhetorik
Um Menschen eine Politik schmackhaft zu machen, die im Grunde nur Ausgrenzung und Spaltung verfolgt, wird mit manipulativen Techniken gearbeitet. Doch zu schlussfolgern, dass jede Person, die sich einer populistischen Rhetorik bedient, auch gleichzeitig Populist*in ist, wäre ein Trugschluss. Einige Politiker*innen ziehen populistischen Sprech in Betracht, um beruflich erfolgreicher zu sein.
Vor populistischen Inhalten und Redeweisen können wir uns also nicht abschotten. Doch wir sollten selbst dafür sorgen, reflektierter zu reagieren und sie beispielsweise nicht unbedacht weiterzuverbreiten. Hier sind ein paar Indizien, an denen man populistische Parolen erkennt.
1. Verzicht auf Sachlichkeit
Populistischer Redestil lehnt Sachlichkeit und konstruktive Lösungsfindung ab. Eine Ausnahme gibt es: Manchmal werden wissenschaftliche Fakten verdreht oder es wird sich auf eine Wissenschaft gestützt, die gar keine ist (etwa Pseudowissenschaften). Beides dient dem Zweck, Emotionen zu wecken, zu provozieren, abzulenken und Gegner*innen zu diskreditieren.
Populist*innen schöpfen aus einem umfangreichen Repertoire an manipulativen Tricks der Rhetorik. Dazu zählt etwa das Ad Hominem: ein Scheinargument, bei dem gezielt eine Person angegriffen wird anstatt der Kern ihres Arguments. Beliebt ist auch die sogenannte Rosinenpickerei: Dabei werden Informationen bewusst so ausgewählt und aus dem Kontext gerissen, dass sie die eigene Position stützen. Eine Übersicht zu diesen Manipulationstechniken liefert die US-Aufklärungsplattform Sceptical Science. Hier werden mehr als 30 Beispiele aufgelistet, die auch von Wissenschaftsleugner*innen eingesetzt werden.
2. Konfrontative Auseinandersetzung und Feindbilder
Gesellschaftliche und politische Probleme sind komplex und bestehen aus verschiedenen Ursache-Wirkung-Effekten und Widersprüchen. In populistischen Positionen werden diese Gegebenheiten aber bewusst verschwiegen und stattdessen – der Einfachheit halber – mit Schwarz-Weiß-Denken, Pauschalisierungen, Freund-Feind-Bildern und „Wir-gegen-die-anderen“-Parolen überlagert.
Wenn Zweifel besteht, ob eine Aussage populistisch ist, sollte man sich fragen: Beruft sich der oder die Sprecher*in auf eine schweigende Mehrheit, deren Interessen es zu verteidigen beziehungsweise zu befürworten gilt? Fallen Schlagwörter wie Volkswille, Gemeinwohl oder (Anti-)Elite? Wird von einer vermeintlichen Diktatur gesprochen, in der man sich befindet? Werden nur zwei Gruppen gegenübergestellt: Wir, die Problemlöser, versus die Anderen, die Problemverursacher? Wenn die Antwort auf diese Fragen “ja” lautet, handelt es sich um Populismus.
3. Mehrdeutigkeit als Mittel zur Provokation
Wer populistisch argumentiert, scheut nicht vor Tabubrüchen und Provokationen zurück. Dafür wird gerne auf Mehrdeutigkeit zurückgegriffen, denn sie kann die Verantwortung für das Gesagte wunderbar verschleiern. Wer etwas anderes meint, als er wörtlich gesagt hat, kann auf diese Weise Wähler*innen mit unterschiedlichen Interessen für sich gewinnen und sich besonders volksnah darstellen. Das verläuft nach dem Prinzip: Jeder versteht das, was er oder sie verstehen will. Diese Strategie heißt in der Fachsprache kalkulierte Ambivalenz.
Ein Beispiel liefert CDU-Politiker Friedrich Merz, der im Herbst 2022 behauptete, ukrainische Flüchtlinge begingen Sozialtourismus. Das Wort erhielt 2013 bereits den Titel „Unwort des Jahres“, weil die Jury fand, es mache Stimmung gegen Flüchtlinge. Nach viel Kritik ruderte Merz zurück und entschuldigte sich. Er wolle lediglich darauf hinweisen, „dass wir zunehmende Probleme haben mit der Unterbringung und auch mit der Betreuung von Flüchtlingen und dazu Probleme bekommen mit einer größer werdenden Zahl von Asylbewerbern“, sagte er bei einem Presseauftritt.
4. Betonung von Trendthemen
Wie bei Fake News werden besonders solche Themen herangezogen, die viele Menschen betreffen. Zu den Klassikern zählen Zuwanderung, Corona-Politik sowie offene Wirtschaftsmärkte. Immer häufiger werden auch Konsumentscheidungen thematisiert, die Einfluss auf den Lebensstil im Alltag haben. Es geht beispielsweise um Autofahren und Heizen, aber auch um gleichgeschlechtliche Ehe und Kindererziehung. „Diese Themen werden nicht mehr einfach so behandelt, um über Lösungsansätze für unsere Probleme zu sprechen. Sie werden für einen Kulturkampf herbeigezogen, ganz nach dem Motto: „Die da oben wollen uns vorschreiben, wie wir zu leben haben“, sagt Krämer.
Fazit
Bei populistischen Beiträgen in den Sozialen Medien handelt es sich oftmals um verdeckte Einflussnahme, die sich Nutzer*innen erst durch das Zusammentragen mehrerer Indizien erschließt. Um das zu erkennen, bedarf es Zeit, Geduld und eigentlich auch einer verstärkten Auseinandersetzung mit Logik und Argumentation. Gerade auf den schnelllebigen Social-Media-Plattformen scheint diese Aufgabe lästig. Sie ist aber zwingend erforderlich, um den Problemen unserer Zeit konstruktiv zu begegnen.
Weiterführende Links:
- MaiThinkX – Die Show „Wie populistische Politiker uns verarschen“ vom 18. Februar 2024
- MDR-Video-Beitrag „Was Populismus und Medien gemeinsam haben“ vom 21. Juli 2022
- Blog-Beitrag „Wie argumentieren Rechtspopulisten“ auf der Website des Forums für Streitkultur vom 6. September 2017
Über die Autorin
Victoria Graul ist freie Journalistin und engagiert sich auf vielen Ebenen mit eigenen Workshops und Vorträgen zu den Themen Faktencheck, Desinformation und Medienkompetenz. Sie betreibt den Podcast Digga Fake – Fake News & Fact-Checking. Davor arbeitete sie als Online-Redakteurin unter anderem für die Freie Presse und das RedaktionsNetzwerk Deutschland.
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Schon gewusst?
Wer populistisch argumentiert, scheut nicht vor Tabubrüchen und Provokationen zurück. Dafür wird auch auf Mehrdeutigkeit zurückgegriffen, um die Verantwortung für das Gesagte zu verschleiern. Diese Strategie heißt in der Fachsprache kalkulierte Ambivalenz.